AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflegeSonderinvestitionsprogramm I
Fünf unscheinbare Balkenlöcher und ein Maueransatz mit archäologischer Bedeutung.
Schützend umschließt sie die Burg Weißensee, bis zu sieben Meter hoch und zwei Meter dick ist das Mauerwerk der Ringmauer. Als Umfassungsmauer umgibt sie die Burganlage, die unter den Landgrafen von Thüringen im 12. Jahrhundert errichtet wurde, um Belagerungen und Angriffen zu trotzen und dem Burgplateau den notwendigen Halt zu geben. Eines ihrer Geheimnisse hat die Ringmauer jetzt bei den Bauarbeiten im Sonderinvestitionsprogramm I (SIP I) der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) preisgegeben.
Burg Weißensee, Foto: STSG, Ralf Nikolai
Der Witterung ungeschützt ausgesetzt, haben Lasten, Wind und Wetter an der Ringmauer gezehrt. Die wehrhafte Burgmauer bedarf dringend einer statischen Kur, die Neigung und Wölbung der Mauer ist deutlich erkennbar. In zwei früheren Bauabschnitten konnten bereits große Teile der Umfassungsmauern im nordöstlichen Bereich gesichert werden. Im SIP I wird nun die Sanierung mit einem nordwestlichen Teilabschnitt fortgeführt. Ganze 600 Quadratmeter Mauerwerk werden dabei von innen und außen saniert. Im Juni 2024 begannen die Natursteinarbeiten – die jetzt auch die Archäologen auf den Plan riefen.
Die Mauerwerkssanierung auf der Burg Weißensee ist in vollem Gang.
Foto: STSG, Anke Pennekamp
Bei der Ringmauersanierung auf der Burg Weißensee traten bei Schachtungen spannende historische Bauzeugnisse ans Licht.
Foto: STSG, Tino Trautmann
Im Rahmen der Sanierung wird auch ein zweiter Flucht- und Rettungsweg geschaffen. Dafür wird eine baufällige Treppenanlage aus dem 19. Jahrhundert mit Ausgang zum Burggraben erneuert. Bei den Schachtungen dafür kamen Spuren eines ehemals an die Ringmauer angebauten Gebäudes zum Vorschein. Das war Anlass für genauere Untersuchungen. Beim Freilegen der Innenseite des betreffenden Bereichs wurden auffällige Öffnungen an der Mauer entdeckt. Die hinzugezogenen Archäologen des Thüringischen Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie dokumentierten daraufhin Werksteine mit Ritzfugen, Balkenlöcher und einen zusätzlichen Maueransatz.
Weiter östlich wurde außerdem in der Ringmauer noch ein neuzeitlicher Schacht aus dem 19. Jahrhundert entdeckt, der später verfüllt wurde. Unter dem Füllmaterial wurde auch ein Gewändestein mit Rundbogenprofil entdeckt.
Die Spuren deuten auf ein Gebäude der für die Burg Weißensee üblichen Randhausbebauung hin. Die erkennbaren Merkmale – Öffnungen für sehr mächtige Balken, dicke steinerne Mauern – deuten auf einen durchaus bedeutenden Zweck des früher an dieser Stelle stehenden Gebäudes hin. Welchem Zweck er auch immer diente, um einen einfachen an die Mauer gelehnten Schuppen handelte es sich auf jeden Fall nicht.
Anke Pennekamp
Umbauten, Modernisierung, neue Moden – auch in historischen Burganlagen treten immer wieder die Spuren ihrer Bauherren und veränderter Zeitgeschmäcker ans Licht. Manchmal schlummern sie im Boden verborgen, ein anderes Mal in der Wand versteckt. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die schon vor längerer Zeit in einer Wand im ehemaligen Wohnbau der Burg entdeckte Astsäule, die zum romanischen Bauschmuck der Burg gehörte.
Astsäule auf der Burg Weißensee, Foto: STSG, Constantin Beyer
Schlössergeschichte im 20. Jahrhundert in den Blick zu nehmen, das hat sich die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlösserverwaltungen (AGDS) vorgenommen. Eine Tagung auf Schloss Schwarzburg ist der Auftakt einer ganzen Tagungsreihe der AGDS. Das Schloss mit seinen Zerstörungsspuren ist ein besonders anschauliches Beispiel für den Umgang mit Schlössern im Nationalsozialismus.
Getagt wird im Emporensaal im Hauptgebäude von Schloss Schwarzburg, mittendrin in einem Stück Schlossgeschichte aus den 1940er Jahren. Das Schloss ist Tagungsort, gleichzeitig aber auch einer der Ausgangspunkte für einige Aspekte der Tagung, die eine Bestandsaufnahme zur Geschichte von Schlössern im Nationalsozialismus mit internationaler Perspektive anhand von konkreten Beispielen zum Ziel hat.
Schloss Schwarzburg, 2022, Foto: IBA Thüringen, Thomas Müller
Anhand von Beispielen, die eine große Bandbreite des Umgangs mit Burgen und Schlössern repräsentieren, fragt die Tagung nach dem ideologischen und praktischen Zugriff auf Schlösser. Dabei geht es auch um die Rolle einzelner Personen, um bauliche Veränderungen, die Vereinnahmung für die NS-Repräsentation und nicht zuletzt um höfische Kulturdenkmale als Projektionsflächen für die Konstruktion von Geschichtsbildern.
Foto: IBA Thüringen, Thomas Müller
Schlossgeschichte mit Brüchen
Die Geschichte von Schloss Schwarzburg reicht bis ins Hochmittelalter zurück. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts werden in einer Urkunde die Schwarzburg und ein Sizzo als Graf von Schwarzburg erwähnt. Aus der Stammburg wurde ein Schloss, das auch nach der Verlegung der Residenz nach Rudolstadt große Bedeutung behielt. Rund 800 Jahre nach der Ersterwähnung dankte mit dem Ende der Monarchie in Deutschland 1918 der letzte Schwarzburger Fürst, Günther Victor von Schwarzburg-Rudolstadt, ab. Teile des fürstlichen Vermögens samt Residenzschloss in Rudolstadt gingen an den Fiskus und an die neu gegründete Günther-Stiftung über, an Schloss Schwarzburg erhielt das abgedankte Fürstenpaar Nießbrauchrecht. Das Schloss, das über Jahrhunderte nur Nebenresidenz war, wurde zu ihrem Hauptwohnsitz. Das lebenslange Wohnrecht endete 1940. Günthers Witwe Anna Luise musste das Schloss innerhalb weniger Tage gegen eine finanzielle Entschädigung räumen. Die Nationalsozialisten planten, auf Schloss Schwarzburg den belgischen König zu internieren, wenig später ändern sich die Pläne. Das Schloss sollte zum Reichsgästehaus umgebaut werden. Anna Luise verließ am 13. Juni 1940 Schloss Schwarzburg und ging nach Sondershausen, Schloss Schwarzburg sollte sie nie wieder betreten.
Schloss Schwarzburg war Stammburg der Grafen von Schwarzburg. Später wurde die Burg zur Landesfestung und nach Schlossbränden sowie vor dem Hintergrund der Erhebung der Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt in den Reichsfürstenstand zum repräsentativen Barockschloss ausgebaut. Nach der Abdankung des letzten Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert 1919 im gleichnamigen Ort, in Sichtweite zum Schloss, die Weimarer Verfassung. In den 1940er Jahren begann unter den Nationalsozialisten ein Schlossumbau zum Reichsgästehaus, der 1942 abrupt beendet wurde.
Foto: IBA Thüringen, Thomas Müller
1940 begannen die Bauarbeiten für den Umbau zum Reichsgästehaus. Die Bauleitung übernahm der Architekt Hermann Giesler. Das Torhaus und ganze Schlossflügel wurden abgerissen, das Hauptgebäude entkernt. Wände und Zwischenwände wurden herausgebrochen. Auch barocke Stuckdecken und wandfeste Innenausstattung mussten weichen. Selbst die Schlosskirche mit dem Erbbegräbnis der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt wurde abgetragen und die Särge wurden fortgeschafft. Das Zeughaus mit der fürstlichen Schauwaffensammlung wurde beräumt und sollte zur Garage umfunktioniert werden. 1942 mussten die Bauarbeiten dann kriegsbedingt eingestellt werden, nach Notsicherungen blieb die Baustelle verlassen zurück. Die Nationalsozialisten planten, den Umbau fortzusetzen, dazu sollte es aber nie kommen. Das Hauptgebäude blieb knapp 80 Jahre lang eine Bauruine.
Seit 1994 gehört Schloss Schwarzburg zum Bestand der Stiftung Thüringer Schlösser Gärten. Zum Erhalt der Schlossanlage stieg die STSG in umfangreiche Sicherungsarbeiten ein. Zunächst mussten hunderte Meter Stützmauern saniert werden, die die Schlossanlage auf dem Bergsporn halten. 2009 bis 2018 konnte, unterstützt durch bürgerschaftliches Engagement und Fördermittel von Land und Bund, das Zeughaus saniert und wiedereröffnet werden. Seit 2018 präsentiert das Thüringer Landesmuseum Heideckbsurg im Zeughaus wieder die erhaltene fürstliche Schauwaffensammlung am originalen Ausstellungsort. Auch das in den 1940er Jahren für die Baufahrzeuge zuerst abgerissene Torhaus wurde bis 2018 wiedererrichtet. Am Hauptgebäude wird seit 2010 umfangreich gesichert. 2019 konnte ein neuer nördlicher Gebäudeabschluss mit Treppenhaus hergestellt werden. Seit 2021 sind die ersten Bereiche im Hauptgebäude wieder zugänglich.
Schloss Schwarzburg 2002, Foto: STSG, Ralf Kruse und Thomas Seidel
Das Schloss als Zeitzeugin
Lässt man den Blick durch den Emporensaal im Hauptgebäude von Schloss Schwarzburg streifen, ist noch deutlich zu erkennen, wo einst Zwischenwände und Decken anschlossen. Wie Striemen ziehen sich die Stellen mit frei liegenden Backsteinen und Schieferplatten über die beiden Geschosse des Saals. Sein heutiges Raumvolumen erlangte der Emporensaal durch die Entkernung in den 1940er Jahren. Acht Schlossräume auf zwei Etagen lagen hier einst. Die namengebende Empore kam beim Teilausbau des Hauptgebäudes im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Thüringen erst vor wenigen Jahren hinzu, gleich einem Ringanker schnürt sie Außenwand und Innenwände heute wieder zusammen. An der Decke des Emporensaals sind noch die Fragmente einer barocken Stuckdecke erhalten, ein paar Meter entfernt sind große Holzträger in die Wände gebrochen. Sie wurden in den 1940er Jahren als Notsicherungen eingebracht. Das Schloss als Zeitzeugin, die die Spuren der Zeit von der Burg bis zum 20. Jahrhundert bewahrt – dieses denkmalpflegerische Konzept steht hinter dem Teilausbau des Hauptgebäudes, das die STSG derzeit auch zum außerschulischen Lernort weiterentwickelt.
Emporensaal im Schloss-Hauptgebäude, Foto: IBA Thüringen, Thomas MüllerAhnensaal im Schloss-Hauptgebäude, Foto: IBA Thüringen, Thomas Müller
Von fürstlichen Glanzzeiten zeugt noch heute der Ahnensaal, der ehemalige Hauptsaal des Schlosses, in der Beletage. Auch in ihm sind die Brüche der Zeit neben der repräsentativen Schlossausstattung eines Grafenhauses, das 1710 in den Fürstenstand aufgestiegen war – mit einer Bandelwerkdecke aus dem frühen 18. Jahrhundert nach französischer Vorlage und den Stuckrahmungen um die früher hier präsentierten großformatigen Ahnenporträts der Schwarzburger – noch deutlich ablesbar.
Heute soll der Denkort der Demokratie, wie der jüngst teilsanierte Bereich des Hauptgebäudes bezeichnet wird, mit seinen Spuren von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert zum Nachdenken über Geschichte, Demokratie und Gesellschaft anregen. Dazu gehört auch die Geschichte der Schlösser im Nationalsozialismus.
Anke Pennekamp
Tagung
Schlösser im Nationalsozialismus
13.-14. September 2024 Schloss Schwarzburg Internationale Tagung, veranstaltet von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und dem Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS e.V.
Mehr zum Programm und zur Anmeldung finden Sie hier.
01. August 2024
Nachwuchs für die Seufzerallee im Fürstlich Greizer Park
Eingeschult
AllgemeinGartenkulturKulturgeschichte
Starkregen, Hitzewellen und große Trockenperioden – die Folgen des Klimawandels zehren auch an den historischen Parkanlagen in Thüringen mit ihren teils jahrhundertealten Baumbeständen. Dass die damit einhergehenden Altbaumverluste nicht so einfach auszugleichen sind und wieviel sorgfältige Vorplanung und Pflege Nachpflanzungen brauchen, zeigt ein vom Bund gefördertes Revitalisierungsprojekt im Fürstlich Greizer Park.
In Gotha wurden im Mai 2024 rund 70 ganz besondere Greizer Linden eingeschult, Ende nächsten Jahres sollen sie in große Fußstapfen treten. Die jungen Linden werden Lücken in der Seufzerallee im Fürstlich Greizer Park schließen. Dazu wurden Reiser von alten Bäumen der Allee in einer Gothaer Baumschule auf Lindensämlinge veredelt. Die Sämlinge stammen aus der Region und wurden bei einer Forstbaumschule des Staatsbetriebs Sachsenforst bezogen.
Seufzerallee im Fürstlich Greizer Park, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Familienbande
Durch die Veredelung kann das genetische Material der Seufzerallee erhalten werden. In der Gartendenkmalpflege ist es bei besonderen Baumexemplaren üblich, bei Nachpflanzungen mit vorhandenem Genmaterial vom gleichen Standort zu arbeiten. Die Experten setzen dabei auf junge Pflanzen, die sich, von klein auf am Standort großgezogen, dem Park und veränderten Klimabedingungen besser anpassen können. Einfach auf andere Baumarten auszuweichen, ist in den historischen Garten- und Parkanlagen nicht so einfach möglich. Die historischen Parkbilder gehören zu den prägenden Gestaltungselementen der lebendigen Gartenkunstwerke. Sie leben von authentischen Pflanzenkombinationen. Wenn sie auch natürlich gewachsen wirken, so wurden die Parkbilder bewusst komponiert. Stammwuchs, Kronenformen und Laubfarben wurden einst mit Bedacht ausgewählt. Durch die Anordnung der Bäume, ob als Solitär oder Gruppen, wurden Vorder- und Hintergründe, Proportionen und Tiefenwirkung in die Natur gemalt.
Junge Linden in der Baumschule in Gotha, Foto: STSG, Dietger Hagner
Seite an Seite prägt Tilia cordata Mill., die Winter-Linde, seit rund zwei Jahrhunderten die Seufzerallee im Fürstlich Greizer Park. „Als Alleebäume sind sie ganz besonders bevorzugt“, schrieb schon der Gärtner und Gartengelehrte Hermann Jäger 1865 über die Winter-Linde in seinem Werk „Die Ziergehölze der Gärten und Parkanlagen“. Als sogenannte „bedeckte Allee“ war das Kronendach der Bäume über dem Weg einst dicht geschlossen.
Heranwachsende Linden in der Baumschule Pomona in Gotha, Foto: Baumschule Pomona, Gotha
Bereits 2005 und 2015 folgten auf Untersuchungen der über 200 Jahre alten Linden der Seufzerallee umfangreiche Baumpflegemaßnahmen, mit denen aus Gründen der Verkehrssicherung auch Kronenrückschnitte notwendig wurden. Die Ende 2025 anstehenden Nachpflanzungen werden durch das Programm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen ermöglicht und stehen im Kontext des Projekts „Revitalisierung des Greizer Parksees“. Die jungen Linden, die gerade in der Baumschule in Gotha heranwachsen und gehegt und gepflegt werden, werden rund 30 Lücken in der Seufzerallee schließen.
Im Zuge des vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung geförderten Projekts „Revitalisierung des Greizer Parksees“ wird der 8,2 Hektar große Parksee entschlammt. Dafür wird der See mit Saugvorrichtungen von Ablagerungen befreit, die sich in den vergangenen 150 Jahre aufgebaut haben. Im Herbst 2024 wird der See dann abgelassen und damit die Voraussetzung für die Sanierung wesentlicher Uferbereiche in 2025 geschaffen. Das Projekt ermöglicht zugleich die ökologische und gartenkünstlerische Wiederherstellung des Parksees.
Amphibienfahrzeug mit Saugrüssel auf dem Greizer Parksee, Foto: STSG, Mario Männel
Ein Stück frühe Parkgeschichte
Die Seufzerallee ist rund 500 Meter lang. Sie liegt mitten in der historischen Parkanlage und säumt einen Abschnitt des Wegs zwischen der Weißen Elster und dem großen Parksee. Die Lindenallee entstand Ende des 18. Jahrhunderts, als die vorher barocke Gartenanlage zum weitläufigen Landschaftspark umgestaltet wurde. Eine Besonderheit ist ihr leicht geschwungener Verlauf: In der Übergangzeit vom Barock- zum Landschaftsgarten wurde darin manchmal eine Möglichkeit gesehen die streng formalen Alleen dem neuen „natürlichen“ Gartenideal anzupassen. Die Seufzerallee zählt damit zu den frühesten Gestaltungselementen des Landschaftsparks in Greiz, dessen heutiges Erscheinungsbild im 19. Jahrhundert durch die Gartenkünstler Carl Eduard Petzold und Rudolph Reinecken geprägt wurde.
Der Fürstlich Greizer Park gehört zum Sommerpalais der Fürsten Reuß Älterer Linie, das um 1770 unterhalb ihrer Residenz nach französischen Vorbildern im Stil des Klassizismus entstand.
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Die jüngst eingeschulten Linden werden zukünftig Seite an Seite mit ihren teils über 200 Jahre alten Lindenverwandten stehen und über die Jahrzehnte in ein seltenes Zeugnis europäischer Gartengestaltung vom Ende des 18. Jahrhunderts hineinwachsen.
Anke Pennekamp
22. Juli 2024
110-Millionen-Euro-Sanierungsprogramm
Mammutprojekt Schloss Friedenstein
AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflege
110 Millionen Euro stehen für die Sanierung von Schloss Friedenstein in Gotha mit einem Förder- und Finanzierungszeitraum bis 2031 zur Verfügung. Die Mittel werden je zur Hälfte von Bund und Land bereitgestellt.
Mit dem Millionenprogramm kann die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) große Sanierungsschritte an einem der bedeutendsten Kulturdenkmale Thüringens erreichen. Das Residenzschloss in Gotha ist das größte Barockschloss in Thüringen, allein 21.000 Quadratmeter Geschossfläche und rund 1.000 Fenster umfasst die Dreiflügelanlage. Erbaut wurde das Schloss im 17. Jahrhundert unter Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha.
Im Mittelpunkt vieler Maßnahmen im Rahmen des Großsanierungsprojekts steht die Gebäudestatik – dringend notwendig und erstmals seit der Erbauung des Schlosses vor gut 350 Jahren in der Gesamtheit in den Blick genommen. Die Sanierungsmaßnahmen knüpfen an umfangreiche Investitionen der STSG seit Übernahme der Liegenschaft 2004 an – gut 30 Millionen Euro wurden seither in Schloss Friedenstein investiert.
Foto: STSG, Constantin Beyer
Die Sanierung von Schloss Friedenstein umfasst mehrere Schwerpunktbereiche: den Westflügel mit Teilen des Westturms, den Ostturm und Teile des Ostflügels, statische Notsicherungen im Nordflügel und die Erneuerung von Haus- und Sicherheitstechnik. Im Zusammenhang mit den Planungen wurden bereits 700 Räume inventarisiert und untersucht, davon rund 90 hochkarätige Raumkunstwerke. Bereits saniert sind auch die 2.100 Quadratmeter des Westflügeldachs zu dem allein 2.000 laufende Meter Dachbalken gehören.
Aktuell stehen besonders der Westflügel und der Westturm im Fokus der Sanierungsexperten. Er bildet einen besonderen Schwerpunkt im umfangreichen Sanierungsvorhaben. Die Dachsanierung konnte bereits 2021 abgeschlossen werden, aktuell wird das neue Treppenhaus mit Aufzug, Toiletten und Betriebsräumen ausgebaut.
Neues Treppenhaus im Westflügel im Juli 2024, Foto: STSG, Uta KolanoRückbauarbeiten in der Hirschgalerie im Westflügel von Schloss Friedenstein, Zustand im April 2024, Foto: STSG, Sabine Jeschke
In Vorbereitung ist die Sanierung und Restaurierung der Innenräume des Westflügels. Dort sollen künftig das erste Obergeschoss und Teile des Erdgeschosses zusätzlich für die museale Nutzung durch die Friedenstein Stiftung Gotha zur Verfügung stehen. Zuvor sind nicht nur Arbeiten an den Raumschalen notwendig, sondern vor allem tiefe Eingriffe in die Statik. Eine wichtige Voraussetzung dafür hat die STSG seit Herbst 2023 mit dem Entfernen jüngerer Einbauten und dem Einlagern wertvoller Ausstattungen geschaffen. Die Freilegungen ermöglichen nun die detaillierte Untersuchung und Planung an Decken und Wänden.
„Wir haben es auf Schloss Friedenstein mit einer Mammutaufgabe zu tun“, sagt STSG-Direktorin Dr. Doris Fischer. „Das wussten wir von Anfang an, und die Freilegungen und Untersuchungen machen es für jeden sichtbar. Wir haben die Aufgabe und zugleich die Chance, die erste grundlegende Sanierung in der Geschichte des Schlosses umzusetzen und es wieder für lange Zeit fit zu machen. Das braucht Zeit und ist mit Einschränkungen verbunden, aber es lohnt sich, hier mit langem Atem und Energie am Ball zu bleiben. Dann steht am Ende ein Ergebnis, von dem noch viele Generationen profitieren. Wie nachhaltig dieses Vorgehen für das Gebäude und unsere Nutzer ist, zeigt das seit 2004 bereits Geschaffte – für immerhin bereits 30 Millionen Euro.“
Abbildung: Sabine Jeschke, Silvia Wagner und Dr. Doris Fischer (v.l.n.r.) von der STSG Erläutern die Baumaßnahmen auf Schloss Friedenstein, Foto: STSG, Anke Pennekamp
„Auf Schloss Friedenstein geht es wirklich um die Substanz“, ergänzt Architektin Silvia Wagner, Leiterin der Bauabteilung der STSG. „Die Schäden an der Konstruktion von Schloss Friedenstein sind immens. Die Ursachen sind Überlastungen und fehlerhafte Umbauten zum Teil seit dem 17. Jahrhundert, aber auch die Folgen von Schwamm und Schädlingsbefall. Schadensschwerpunkte sind die hölzernen Decken und Innenwände, aber auch Pfeiler und Gewölbe. Die Sanierung im Bestand unter Bewahrung von möglichst viel Originalsubstanz auch in der Konstruktion ist an sich schon eine Herausforderung. Im Interesse unserer Nutzer machen wir das ganze bei laufendem Betrieb und versuchen immer, die Einschränkungen zu minimieren. Wesentliche Teile des Schlosses sind während der Bauarbeiten immer nutzbar und geöffnet.“
Abbildung: Notsicherung über dem Eckhof-Theater Ende Mai 2024, Foto: STSG, Sabine Jeschke
Neue Baustellen-Ausstellung in der Alten Münze, Foto: STSG, Franz Nagel
Baustellen-Ausstellung
Die komplexen Zusammenhänge macht die neue Baustellen-Ausstellung „Elefant Friedenstein“ anschaulich erlebbar. Den Rahmen bietet die Alte Münze im Erdgeschoss des Westflügels. Mittendrin im Baugeschehen erfahren die Besucherinnen und Besucher dort vieles zur Baugeschichte des Schlosses, zur Sanierung und zu den wichtigen Akteuren rund um Schloss Friedenstein. Auch der virtuelle Rundgang der Friedenstein Stiftung Gotha durch die Prunkräume des Westflügels kann hier genutzt werden. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 17 Uhr ohne Eintritt zugänglich (Änderungen aufgrund des Baustellen- und Veranstaltungsbetriebs vorbehalten).
17. Juli 2024
Kachelkamin von Schloss Altenstein
Dem Herzog wird eingeheizt
AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Leuchtende Farben lassen den mineralischen Ton erstrahlen. Nach und nach taucht der Pinsel Köpfe und Flügel kleiner Putti, Voluten, Bandornamente und Figuren in Grün-, Braun- und Rotnuancen.
In der Werkstatt einer auf besondere keramische Erzeugnisse spezialisierten Firma in Velten wird angemischt, experimentiert und ausprobiert. Die Glasuren und Farbmischungen sollen perfekt sitzen, um die Kaminkacheln später wieder wie im 19. Jahrhundert zum Strahlen zu bringen. Dafür sind Feingefühl und die richtige Rezeptur gefragt. Der Kamin, dessen Kacheln in der Werkstatt neu entstehen sollen, wurde ursprünglich 1888/89 im Schloss Altenstein errichtet. Wie das Schloss war er dem Historismus, genauer gesagt der Neo-Renaissance verpflichtet. Im Vestibül der Sommerresidenz auf dem Altenstein in Bad Liebenstein empfing er die Gäste der Herzöge von Sachsen-Meiningen. Vermutlich in den 1940er Jahren wurde er abgerissen und als Bauschutt unter anderem zur Verfüllung der Zisterne hinter dem Schloss verwendet.
Schloss Altenstein war Sommerresidenz der Herzöge von Sachsen-Meiningen. Im 19. Jahrhundert lies Herzog Georg II. das Schloss nach dem Vorbild englischer Herrenhäuser umbauen. Das Sommerschloss im Stil der Neorenaissance und der umliegende 160 Hektar große Landschaftspark mit vielen kleinen Sehenswürdigkeiten auf spitzen Felsvorsprüngen stehen in enger Beziehung zueinander.
Foto: STSG, Tino Trautmann
Historische Fotografie mit dem Kachelkamin im Schloss Altenstein, Foto: Archiv Schloss- und Parkverwaltung Altenstein
Jetzt wird er unterstützt durch bürgerschaftliches Engagement und Spenden wiederhergestellt. Denn mit der Innensanierung des Schlosses, die derzeit im Rahmen des Sonderinvestitionsprogramms I (SIP I) der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) vorbereitet wird, soll der über zwei Meter hohe Kamin an seinen angestammten Platz zurückkehren. Unser heutiges Wissen über den Prunkkamin verdanken wir dem Engagement und der Recherche der Professoren Renate und Kurt Hoffmann. Die beiden spürten seit den 1990er Jahren über 450 Bruchstücke der Kaminkacheln in Schutthaufen um die Zisterne und auf der oberen Terrasse auf und setzten sie wieder zusammen. Und auch der Geschichte des Kamins spürten sie nach. Dessen ursprüngliches Aussehen kann gut nachvollzogen werden, wie die Recherchen zeigten, denn schon Herzog Georg II. bestellte gern auch mal im Katalog, wie zur damaligen Zeit auch in Herzogshäusern üblich. Ein Musterblatt der Kunsttöpferei & Ofenfabrik Hausleiter & Eisenbeis aus Frankfurt am Main zeigt den Kamin. Seine Kacheln werden von Reliefs mit floralen und ornamentalen Motiven geziert: Karyatiden und Atlanten flankieren die Feuerstelle. Unter dem Kamintisch halten Putti Muschelnornamente. Weitere Putti, Karyatiden, Ornamentbänder und Porträts zieren den Aufsatz.
Für die Wiederherstellung des Kamins wurden in der Werkstatt zuerst Modelle der unterschiedlich gestalteten Kacheln geformt. Anhand dieser konnten dann die Keramik-Rohlinge, die sogenannte Schrühware, hergestellt werden. Die Schrühware soll nun glasiert und gebrannt werden. Für die Anbringung der Kacheln wird auch der Corpus des Kamins neu aufgebaut.
Foto: Veiko Minge
Glasurprobe, Foto: STSG, Susanne Rakowski
Die Rückgewinnung des Kamins hat vor dem Hintergrund des Schlossbrandes auf Schloss Altenstein besondere Bedeutung. 1982 brannte das Schloss aus, nur wenige Stücke der Innenausstattung konnten damals geborgen werden. In den letzten Jahren konnten bereits die Restaurierung der Fassaden und die Instandsetzung der Schlossterrassen abgeschlossen werden. Dank des von Bund und Land geförderten SIP I ist es der STSG nun möglich, auch die Innensanierung des Schlosses abzuschließen und zudem den historischen Küchenbau hinter dem Schloss zu sanieren. Nach Abschluss der Sanierung soll der Kachelkamin den Besuchern des Altensteins wieder einheizen, wie es einst auch Herzog Georg II. genoss.
Anke Pennekamp
11. Juli 2024
Das NaturHistorische Museum Schloss Bertholdsburg feiert Geburtstag
Naturkunde und Geschichte seit 90 Jahren
AllgemeinKulturgeschichteVermittlung
Mitten im Herzen Schleusingens, am Südrand des Thüringer Waldes, liegt ein malerisches Residenzschloss. Das Schloss beherbergt ein Museum mit bemerkenswertem Profil: Das NaturHistorische Museum besitzt sowohl historische als auch naturkundliche Sammlungen. In den letzten drei Jahrzehnten ist es dem Museum gelungen, sich durch innovative Ausstellungen und vielseitige Veranstaltungen als beliebte Destination zu etablieren. Nun wird es 90 Jahre alt.
Dabei fing die Museumsgeschichte denkbar bescheiden an. 1932 starb Prof. Dr. Hermann Franke (1847–1932), ein ehemaliger Schleusinger Gymnasiallehrer und Sammler von mineralogischen und geologischen Funden. Einem guten Bekannten Frankes, Paul Georgi (1891–1979), gelang das ambitionierte Projekt einer Museumsgründung. Am 25. März 1934 wurde das „Franke-Museum“ feierlich eröffnet. Die preußische Regierung in Erfurt hatte dazu zwei Räume auf Schloss Bertholdsburg herrichten lassen. Durch Spenden wuchsen die Sammlungen und damit das Museum stetig.
Schloss Bertholdsburg in Schleusingen, Foto: STSG, Robert Fehringer (keineckMedia)
Blick in das „Franke-Museum“ von 1934.
Foto: NaturHistorisches Museum Schleusingen, Museumsarchiv
Die Ursprünge
Noch früher als das Franke-Museum stellte der Schleusinger Geschichtsverein in einem alten Stadtmauerturm Sachzeugnisse aus der Geschichte der Region aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Sammlungen in ein Heimatmuseum auf Schloss Bertholdsburg überführt. Dank ehrenamtlicher Tätigkeit konnte 1953 das aus vier Räumen bestehende „Hennebergische Heimatmuseum“ seine Pforten öffnen. Der Schwerpunkt des Museums lag auf der örtlichen Handwerks- und Schulgeschichte.
Bis in die frühen 1980er Jahre hinein teilte sich das Heimatmuseum die Bertholdsburg mit verschiedenen Behörden und dem „Franke-Museum“. Die Schließung des geologischen Museums des Hermann Franke und der Auszug zahlreicher Ämter aus dem Schleusinger Schloss machte den Weg frei, die regionalgeschichtliche Dauerausstellung zum 350-jährigen Stadtjubiläum 1982 wesentlich zu erweitern. Ein Teil der freien Fläche war bereits elf Jahre zuvor mit Spielzeug aus dem Sonneberger Spielzeugmuseum belegt. Aufgrund der Grenznähe Sonnebergs wurden 1971 Bereiche der Spielzeugausstellung auf Schloss Bertholdsburg umgesetzt. Bis 1991 besaß das Spielzeugmuseum Sonneberg in Schleusingen ein Ausstellungszentrum.
Transport eines Haimodells für die Sonderausstellung zum 90. Museumsjubiläum, Foto: Janis Witowski
Gründung des Naturhistorischen Museums
Im Hinblick auf die Schleusinger Museumsgeschichte läutete der 29. Februar 1984 die Moderne ein: Auf Beschluss des Kreises Suhl-Land wurde das Naturhistorische Museum ins Leben gerufen. Seine Kernaufgabe bestand in der Zusammenführung sowie in der konservatorischen und wissenschaftlichen Betreuung aller naturkundlichen Sammlungen Südthüringens. Über drei Jahre hinweg wurden die im Bezirk Suhl vorhandenen biologischen, mineralogischen und geologischen Sammlungen nach Schleusingen überführt.
Mit der Gründung des Naturhistorischen Museums 1984 verschob sich der Schwerpunkt weg von der Geschichte hin zur Naturkunde. Es galt, im Wesentlichen den Naturraum des Bezirkes Suhl zu untersuchen und für die Öffentlichkeit abzubilden. Die Erforschung und Ausstellung der Regionalgeschichte blieb dennoch ein fester Bestandteil des Museumsbetriebes. Wegen seiner großzügigen personellen Ausstattung und auch dank des Amphibien-Vivariums (1988–1993) im heutigen Sonderausstellungsbereich avancierte das Schleusinger Naturkundemuseum zum Forschungszentrum und Publikumsmagneten.
Kinderfest 2022 auf Schloss Bertholdsburg in Schleusingen, Foto: Janis Witowski
Andrée Amelang, freier Mitarbeiter des NaturHistorischen Museums, beim Bergen von Saurierfunden 2010 .
Foto: NaturHistorisches Museum Schleusingen, Museumsarchiv
Die Ausstattung des Naturhistorischen Museums ist in den 1990er Jahren drastisch reduziert worden; zeitweilig stand sogar die Weiterexistenz in Frage. Auch diese Zeiten gingen vorüber. Das Museum auf Schloss Bertholdsburg ist im Landkreis Hildburghausen fest etabliert und bereichert mit Ausstellungen, Vorträgen, Konzerten und Festen für Jung und Alt das kulturelle Angebot in der Region. Im Bewusstsein seiner Rolle als Mehrspartenhaus hat das Naturhistorische Museum im November 2023 eine Namensänderung vollzogen: Es heißt nun „NaturHistorisches Museum“ und vereint damit das Naturhistorische und das Historische Museum Schleusingen unter einem Dach. Gemeinsam mit der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten wird das NaturHistorische Museum in den kommenden Jahren weitere Schritte zu seiner Modernisierung unternehmen: Die Realisierung eines zeitgemäßen Museumsdepots in Kloster Veßra und die Neugestaltung der regionalgeschichtlichen Dauerausstellung.
Gastbeitrag von Dr. Janis Witowski, stellv. Direktor des NaturHistorischen Museums Schloss Bertholdsburg Schleusingen
27. Juni 2024
Neue Fenster für Schloss Friedenstein
Erhellende Handwerkskunst
AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflege
Über 60 Stunden Handwerksarbeit stecken in jedem Fenster.
Wohnen im repräsentativen Stil und Arbeiten mitsamt einem ganzen Verwaltungsapparat – Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha hatte große Ambitionen und wollte eine Menge unterbringen in seinem neuen Residenzschloss in Gotha. Dementsprechend groß fiel der Neubau aus, den er mit Schloss Friedenstein vor rund 350 Jahren in Gotha errichten ließ. Allein der Westflügel misst stolze 100 Meter. Damit die großzügigen Raumfolgen, ausgestattet mit prachtvollem Stuck, die langen Korridore und repräsentativen Säle auch im rechten Licht erschienen, wurde dem Schloss natürlich eine nicht minder imposante Zahl an Fenstern beigegeben. Bis heute erhellen über 1000 Fenster das Schloss. Aber auch Schlossfenster müssen mal in die Kur. Eine ebenso imposante Aufgabe bei einem Schloss dieser Dimensionen für die heutige Schlossherrin. Seit 2004 gehört Schloss Friedenstein samt Herzoglichem Park zum Bestand der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, die sich nicht nur um große Sanierungsprojekte – wie die laufende 110-Millionen-Euro-Sanierung der Schlossanlage – sondern auch um den tagtäglichen Bauunterhalt kümmert.
Schloss Friedenstein in Gotha, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Mitarbeiter der Tischlerei Schmidt aus Olbersleben beim Einbau der neuen Fenster im Nordflügel.
Foto: STSG, Sabine Jeschke
Zur Instandhaltung der Schlossanlage gehört, wenn nötig, auch die Erneuerung von Fenstern, wie sie im Juni 2024 gerade auf Schloss Friedenstein anstand. 18 Fenster mussten getauscht werden. Im Erbprinzengemach im Nordflügel mit der Kunstkammer-Ausstellung der Friedenstein-Stiftung Gotha wurden die ersten sechs neu gefertigten Fenster eingebaut und auch im Spiegelsaal zwölf Fenster ersetzt. Festgeschnallt in einem Kleintransporter, fuhren die neuen Fenster aus Eichenholz vor dem herzoglichen Barockschloss vor. 60 Stunden Handwerksarbeit stecken in jedem einzelnen Fenster. Für alle 18 Fenster zusammen haben die Tischler in der Werkstatt rund acht Kubikmeter Holz verbaut.
Beim Ein- und Ausbau der fast drei Meter hohen Fenster kam auch der Hubsteiger zum Einsatz.
Foto: STSG, Sabine Jeschke
Bei den 18 neuen Fenstern auf Schloss Friedenstein handelt es sich um sechsflügelige Kreuzstockfenster, die sich an historischen Befunden orientieren. Gleichzeitig müssen sie aber auch einer modernen Museumsnutzung entsprechen und hohe Sicherheits- und Dämmungsansprüche erfüllen. Die Fenster sind traditionelle Verbundfenster mit einer leicht unebenen Verglasung für das historische Erscheinungsbild.
Anke Pennekamp
21. Juni 2024
Neun SIP-Baustellen 2024
Von der Haube bis zur Schlossbrücke
BaugeschehenDenkmalpflegeSonderinvestitionsprogramm I
Im Sonderinvestitionsprogramm I rüsten sich die Baustellen. 2024 soll in neun SIP-Projekten parallel gebaut werden: auf Schloss Altenstein, an den Stützmauern von Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden, an der Turmhaube und der Umfassungsmauer der Burg Weißensee, den Burgruinen Bad Liebenstein und Ehrenstein, am Entwässerungsnetz von Schloss Sondershausen, am Torhaus der Burg Ranis und der Zugangsbrücke von Schloss Bertholdsburg in Schleusingen.
Nach umfangreichen Untersuchungen und sorgfältigen Planungen kann in neun von insgesamt 23 SIP-Projekten in diesem Jahr bereits mit dem Bauen begonnen werden. Die 23 SIP-Projekte sind so angelegt, dass sie gestaffelt an den Start gehen können. Während in einigen Projekten schon gebaut wird, können in anderen Großprojekten die sehr komplexen Planungen mit der notwendigen Zeit weiter vorangetrieben werden. Jedes Projekt für sich hat unterschiedliche Anforderungen, denen man so gerecht werden kann.
Auf Schloss Altenstein wird im SIP I die Gesamtsanierung des 1982 ausgebrannten Schlosses abgeschlossen und der zugehörige historische Küchenbau saniert. Während im Inneren des Schlosses bereits die haustechnischen Installationen laufen, wird auch am historischen Küchenbau bereits gebaut.
Historischer Küchenbau, Foto: STSG, Philipp Brand
Auf Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden wird im SIP I fast ein halber Kilometer Stützmauer saniert. Auch hier starten 2024 die ersten Bauarbeiten im SIP-Projekt.
Foto: STSG, Thomas Müller
Auf den Burgruinen Bad Liebenstein und Ehrenstein stehen 2024 die zweiten Bauabschnitte auf dem Plan. Die Restaurierungsarbeiten haben auf beiden Ruinen bereits 2023 begonnen. Im ersten Bauabschnitt wurde auf der Burgruine Bad Liebenstein die Zugangsbrücke zur Burg instandgesetzt, Voraussetzung für die Fortsetzung der Sicherung der Kernburg – nur die Brücke führt in die Burg. Auf der Burgruine Ehrenstein wurden 2023 die Mauerkronen und oberen Mauerwerksbereiche in der Kernburg saniert. 2024 geht es nun im unteren Mauerwerksbereich weiter.
Burgruine Bad Liebenstein mit Baustelle an der Zugangsbrücke, Foto: STSG, Constantin Beyer
Auf Schloss Bertholdsburg in Schleusingen gehen die SIP-Bauarbeiten an der Zugangsbrücke zur Schlossanlage los, die Brücke ist ein bedeutendes Nadelöhr, denn nur sie bietet Zugang zur Anlage.
Foto: STSG, Sibylle Mania
Während auf Schloss Sondershausen mit der Sanierung von 73 Fenstern am Westflügel das erste SIP-Projekt bereits abgeschlossen ist, laufen die Bauarbeiten in einem weiteren SIP-Projekt, der Erneuerung des maroden Entwässerungsnetzes im Lustgarten des Schlosses, auf Hochtouren.
Foto: STSG, Stephan Göpffarth
Und auch am Torhaus der Burg Ranis, in dem sich 800 Jahre Burggeschichte ballen, sollen 2024 die Bauarbeiten im Rahmen des SIP-Projekts, das die statische Sicherung und Sanierung von Dach und Fassaden des Torhauses zum Ziel hat, beginnen.
Torhaus der Burg Ranis, Foto: STSG, André Kranert
Auf der Burg Weißensee haben die Bauarbeiten im Rahmen der beiden SIP-Projekte der Haubensanierung am Palasturm und der Sanierung eines Teilabschnitts der Ringmauer gerade begonnen. In beiden Sanierungsprojekten wird parallel gebaut ab diesem Jahr – auch logistisch eine Herausforderung an zwei naturgemäß schwer zugänglichen Stellen. Allein das Gerüst am Palasturm ist 30 Meter hoch.
Foto: STSG, Tino Trautmann
Das SIP I der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten hat ein Volumen von insgesamt 200 Millionen Euro, mit dem Sanierungsprojekte an Kulturdenkmalen in ganz Thüringen umgesetzt werden. Finanziert wird das Programm jeweils zur Hälfte vom Bund und vom Land Thüringen. Im Zentrum des SIP I stehen dringend notwendige Maßnahmen zur statischen Sicherung, Dachsanierungen, aber auch Brandschutz und Barrierefreiheit. Vielfach werden Nutzungsbedingungen für die in den Schloss- und Burganlagen sitzenden Partnerinstitutionen wie Museen, Archive und Musikschulen verbessert. Auch Nachhaltigkeit spielt im SIP I natürlich eine große Rolle – vom Einsatz naturnaher Materialien und traditioneller Handwerkstechniken bis zur Prüfung von Haustechnik auf Energieeffizienz oder vom Umstieg auf alternative Heiztechnologien. Und nebenbei ist das SIP I auch ein Forschungsprojekt, mit dem oft zuvor wortwörtlich verborgenen Teilen der Baugeschichte nachgespürt wird.
Rund 200 Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen sind als beauftragte Planer und Forscher mit den dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen im SIP I befasst, die in 23 Einzelprojekte aufgeteilt sind. Koordiniert werden die Maßnahmen von Projektteams innerhalb der STSG. Oftmals handelt es sich dabei um die erste konstruktive Gesamtbetrachtung der Baudenkmale seit ihrer Errichtung.
Schaubild: STSG
13. Juni 2024
Juwelierskunst im Rokokoschloss Dornburg
Frisch ge(n)adelt
AllgemeinKulturgeschichteVermittlung
Sie sind Preziosen der Goldschmiedekunst, wertvolle Präsente europäischer Adelshäuser und als Sammelgebiet kaum wahrgenommen: fürstliche Geschenknadeln. Eine profilierte Privatsammlung der kleinen Objekte lädt zum großen Staunen ein. Seit dem 1. Juni ist die neue Sonderausstellung im Rokokoschloss Dornburg geöffnet.
Dornburg ist für seinen Dreiklang an Schlössern bekannt: das Alte Schloss, das Rokokoschloss und das Renaissanceschloss. Das letztgenannte ist für die Sanierung im Sonderinvestitionsprogramm I der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten geschlossen. Somit rückt das Museum im Rokokoschloss mit seinem Sonderausstellungsraum in der Mansarde als Besuchsziel in den Fokus der Gäste. Wenn einst der Anblick des Dornburger Dreiklangs hoch über der Saale den Vergleich einer mit Perlen gefassten Krone hervorrief, dann ist das in rosa-gelb gefasste Rokokoschlösschen eine besonders funkelnde.
Dornburger Schlösser und Gärten, Rokokoschloss, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Funkelnd geht es auch in der neuen Kabinettausstellung des Schlösschens aus dem 18. Jahrhundert zu. Die ehemalige Sommerresidenz der Großherzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach beherbergt bis 11. August 2024 die Sonderausstellung „Ge(n)adelt. Fürstliche Geschenknadeln aus drei Jahrhunderten“.
Foto: A. Wilfing
Geschenkt
Gelegenheiten zum Schenken gibt es viele. Schenken hat Tradition, Schenken verbindet. Staats- und Gastpräsente sind schon lange ein Mittel, diplomatische Beziehungen zu festigen. Fürstenhäuser schenkten sich im 17. und 18. Jahrhundert gegenseitig Luxusgüter wie Pelze, Tuche, Porzellane oder Edelsteine, aber auch exotische Tiere, Rassehunde oder selbst Elefanten, bis hin zu ganzen Armeen. Dank- und Ehrengeschenke verlieh der Adel im Zeitalter des aufstrebenden Bürgertums zunehmend auch an verdiente Staatsdiener, engagierte Wissenschaftler, ergebene Künstler oder beflissene Bahnbeamte.
Genadelt
Im bürgerlichen 19. Jahrhundert kam es zu einer regelrechten Inflation von Militärorden, Gedenkmedaillen, Prämien- oder Preismünzen. Eng mit der Entwicklung der Krawattenmode sind die fürstlichen Geschenk- und Ehrennadeln verbunden. Die kleinen wertvollen Präsente (Nippes) vereinten Schmuck und Funktion zugleich. Gleichzeitig demonstrierten sie ganz nebenbei fürstliche Macht, die sich in der Verwendung wertvoller Materialien (Gold, Edelsteine, Perlen) oder der verwendeten Symbole (Krone, Wappen, Initialen) zeigte. Ähnlich kunstvoll, teils von den Hofjuwelieren gemarkt, kommen die Etuis daher: ganz in Samt und Seide.
Warum ist Nippes nicht gleich Nippes?
Unter dem Begriff „Nippes“ werden kleine dekorative Kunstgegenstände zusammengefasst. Das französische Wort bezieht sich ursprünglich in der Bedeutung auf „Beiwerk, Zierrat“. Im 18./19. Jahrhundert bezeichnete der Begriff noch wertvolle Objekte wie die fürstlichen Geschenknadeln. Heute wird das Wort eher synonym für Kitsch, Ramsch oder Stehrümchen verwendet.
Geschenkbrosche von Wilhemina von Oranien-Nassau, Foto: A. Wilfing
Heiratspolitik und Königinnen
Ein besonders schönes Nippes-Stück ist die Geschenkbrosche von Wilhemina von Oranien-Nassau (1880-1962) die von 1890 bis 1948 Königin der Niederlande war. Aus Gold und Platin gefertigt und mit Diamanten besetzt, zeigt die Brosche ein bekröntes „W“. Wilhelminas Großtante war Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach (1824-1897) – eine geborene Prinzessin der Niederlande. Mit ihrem Mann Großherzog Carl Alexander (1818-1901) nutzte Sophie das Dornburger Rokokoschloss gern als Sommerresidenz und richtete es ganz individuell ein, wovon noch heute der als Porzellankabinett eingerichtete Speisesaal erzählt.
Christian Hill
06. Juni 2024
Burgen in Thüringens Kulturlandschaft
Zeugen des Wandels
AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Einen heute kaum mehr nachvollziehbaren Eindruck muss es gemacht haben, wenn im Mittelalter eine neue Burg emporwuchs. Der Großteil der Landbevölkerung lebte in niedrigen Holz- und Fachwerkbauten, und auch in Städten waren steinerne Gebäude eher die Ausnahme als die Regel. Neben Kirchen waren es die Burgen, die durch ihre Größe und ihr Material herausstachen. Eine Burg zu bauen, erforderte erhebliche Aufwendungen – und Macht. Denn es ging nicht nur um Geld und Baumaterial, sondern auch vor allem um Arbeitskräfte. Über all das konnte nur verfügen, wer Herrschaft ausübte, Anspruch auf Abgaben und Arbeitsdienste erheben konnte und Land besaß.
Eine Burg zu bauen, war ein Privileg der Herrschaft. Die Verfügbarkeit der Mittel allein genügte nicht. Eine Burg machte den Eigentümer wehrhaft und verlieh ihm praktische und symbolische Macht. Höherrangige Territorialherren achteten deswegen darauf, dass rangniedrigere Adelige ihnen in Sachen Burgenbau nicht zu nahe traten. Diese wiederum versuchten nicht selten, ihre Macht mithilfe von Burgen auszubauen und sich auf diese Weise Herrschaftsrechte zu sichern. Burgen manifestierten Macht, mit ihnen konnte man handfeste Politik machen. Und nicht zuletzt waren konkrete Herrschaftsrechte an sie geknüpft.
„Burgen im Wandel“ ist auch das Thema einer Tagung vom 18. bis 19. Oktober auf der Veste Heldburg. Mehr zum Tagungsprogramm und zur Anmeldung hier.
Tagung
Burgen im Wandel – Gestalt und Funktion wehrhafter Architektur
18.-19. Oktober 2024
Veste Heldburg
Thüringen ist ein Land der Burgen. Die ganze Bandbreite vom Bodendenkmal über die Burgruine und die zum Schloss ausgebaute Burg bis zum Zeugnis der Burgenromantik ist hier in großer Zahl und Dichte vorhanden. Dynastien wie die Landgrafen von Thüringen, die Wettiner, die Reußen und die Schwarzburger haben ihre bis heute wirksamen Spuren in der Kulturlandschaft hinterlassen. Die Burgen dienten dem Landesausbau und der Herrschaftssicherung, aber auch der Repräsentation und der Hofkultur. Sie sind Zeugen von Konkurrenz und Auseinandersetzungen, vom Wandel der Baustile und der Wehrtechnologien, von veränderten Ansprüchen und Funktionen. Die interdisziplinäre Tagung fragt nach Thüringer Dynastien und ihren Burgen, aber auch nach Aspekten der höfischen Kunst und Kultur sowie nach dem Funktionswandel in der Frühen Neuzeit bis hin zu Burgenromantik und Burgendenkmalpflege.
Foto: Veste Heldburg, Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Wetteifernde Burgherren
Der noch heute die Thüringer Kulturlandschaft prägende enorme Burgenreichtum ist nicht zuletzt der Burgenpolitik mehrerer konkurrierender Adelsgeschlechter zu verdanken. In der Mitte des 13. Jahrhunderts beerbten die Wettiner, die als Markgrafen von Meißen an Macht gewonnen hatten, die ausgestorbenen Landgrafen von Thüringen. Sie übernahmen nicht nur deren Titel, sondern auch deren Burgen und Territorien. Zusätzlich bauten sie in den folgenden Jahrzehnten ihre Landesherrschaft aus. Damit gerieten sie in Konflikt zu den alteingesessenen Adelsgeschlechtern auf dem Gebiet des heutigen Freistaats, die den Expansionsbestrebungen zu trotzen suchten. Die Auseinandersetzungen gipfelten in einer mehrjährigen Auseinandersetzung, die als Thüringer Grafenkrieg in die Geschichte einging. Einige Dynastien hielte dem nicht stand. Klare Landgewinner waren die Wettiner. Behaupten konnten sich aber auch die Grafen von Schwarzburg und die Vögte von Weida mit ihren zahlreichen Linien, die späteren Grafen Reuß. Südlich des Thüringer Waldes blieben bis ins 16. Jahrhundert die Grafen von Henneberg bestimmend.
Ausgebaute Stammburg: Schloss Schwarzburg im Thüringer Wald, Foto: IBA Thüringen, Thomas Müller
Die Schwarzburger gingen sogar gestärkt aus dem langen Machtkampf hervor. Ihnen gelang es, untergehenden Dynastien Herrschaftsgebiete und zugehörige Burgen abzugewinnen. Ursprünglich auf die Gegend um Arnstadt und Schwarzburg beschränkt, verfügten sie nun über Territorien im Norden Thüringens und konnten sich im mittleren Saaletal ausbreiten. Ihren Erfolg zeigen nicht nur die aus anderer Hand übernommenen Burgen, sondern auch strategische Neubauten, die den Landesausbau stützten und die Herrschaft festigten. Die Heidecksburg in Rudolstadt, eine ihrer beiden späteren Residenzen, entwanden die Schwarzburger den Grafen von Orlamünde, das zweite künftige Herrschaftszentrum Sondershausen gewannen sie per Erbvertrag mit den Grafen von Hohnstein hinzu. Die Burgen Ehrenstein einige Kilometer nordwestlich davon und Liebenstein im heutigen Ilmkreis hingegen errichteten sie neu.
Die beiden Burgen Ehrenstein und Liebenstein sind beinahe baugleich und von so einfacher wie wirkungsvoller Wehrarchitektur geprägt. Sie sicherten mit vielen anderen Stützpunkten die Territorialansprüche der Schwarzburger im Umfeld der aufstrebenden Wettiner ab und waren zugleich wichtige Orte der praktischen Herrschaftsausübung mit großer Symbolkraft. Ein möglichst dichtes Netz von Burgen erleichterte es zum einen, Kontrolle und Gerichtsbarkeit auszuüben und die beanspruchten Abgaben und Dienstpflichten zu sichern. Zum anderen vergrößerte es die Chancen, im Angriffsfall Gebiete halten zu können.
Burgruine Ehrenstein, Foto: STSG, Philipp Hort
Burgenbau mit Bedeutung
Maßstäbe für den Burgenbau setzten allerdings schon 200 Jahre vorher die Landgrafen von Thüringen. Die Wartburg mit ihrem Palas aus dem 12. Jahrhundert war nicht nur ein Ort der Landesherrschaft, sondern demonstrierte mit ihrer baukünstlerischen Qualität den Anspruch, in der ersten Liga zu spielen. Und damit war die Wartburg nur die wichtigste von mehreren Burgen der Landgrafen, an die sie ähnliche Maßstäbe anlegten. Auch die Neuenburg bei Freyburg an der Unstrut und – auf halber Strecke dorthin – die Burg Weißensee im Thüringer Becken suchten sie regelmäßig auf.
Burg Weißensee, Foto: STSG, Tino Trautmann
Herrschaft im Mittelalter erforderte Sichtbarkeit und Präsenz, und so war repräsentative Qualität an mehreren Orten gefragt. Sie hat sich vor allem im Bauschmuck erhalten, etwa in der frappierenden Astsäule auf der Burg Weißensee. Die hohen Ansprüche der Landgrafen schlugen sich aber auch auf einem Gebiet nieder, das sich heute nur noch indirekt in der literarischen Überlieferung spiegelt. Sie füllten ihre Burgen mit kulturellem Leben, indem sie sich als Förderer der Dichtkunst hervortaten. Die in ihrem Auftrag entstandenen Texte von Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und anderen sind heute Schullektüre. Damals wurden sie zur Unterhaltung der Hofgesellschaft mündlich vorgetragen – auf den Burgen, die trotz späterer Veränderungen noch heute das Besondere erkennen lassen.
Astsäule auf der Burg Weißensee, Foto: STSG, Constantin Beyer
Mit dem Übergang an die Wettiner verloren die Burgen der Landgrafen von Thüringen ihre herausgehobene Residenzfunktion. Die Wartburg blieb vor allem als Garantin des Landgrafentitels von Bedeutung, der den Wettinern einen Sprung im Ranking der Dynastien verschaffte. Die Burg Weißensee war nun mehr ein Standort der regionalen Herrschaftsausübung und diente später lange als Zentrum des gleichnamigen Amtes.
Diese Funktionsbestimmung teilt die Burg Weißensee mit vielen anderen Burgen, die in der Frühen Neuzeit weiter genutzt wurden. Ihre mittelalterlichen Erbauer hatten aber selten bloße Verwaltungszwecke im Sinn. Neben dem Symbolwert und dem militärischen Nutzen konnte es sehr unterschiedliche Motivationen geben, eine Burg zu errichten – nach heutigen Maßstäben immerhin eine Millioneninvestition. Wer beispielsweise das Privileg hatte, an großen Handelswegen Zölle zu erheben, dem konnte eine Burg mit imposantem Aussehen und guter Übersicht sehr nützlich sein. Überhaupt konnten wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle spielen. Die Stadt Erfurt etwa unterhielt im Spätmittelalter mehrere Burgen im weiteren Umland, um die Grundlagen ihrer auf dem Waidanbau basierenden wirtschaftlichen Blüte zu sichern. Zu ihnen gehörte zeitweise die Wasserburg Kapellendorf, die aber – befristet an ein niederadeliges Bruderpaar übergeben – zwischendurch auch einmal zu einem recht gegenteiligen Zweck als Raubritter- und Erpressernest benutzt wurde. Weitere Gründe für den Burgenbau konnten das Sichern von Grenzlinien oder das Bedürfnis nach Unterkünften für die kaiserliche Reiseherrschaft sein. Selten war nur ein Grund ausschlaggebend.
Wirtschaftsburg und Räubernest: Wasserburg Kapellendorf, Foto: STSG, Philipp Hort
Wandelnde Funktionen
Änderte sich die Situation, die für den Bau und die Platzwahl entscheidend war, wurden Burgen nicht selten aufgegeben. Die Fortschritte in der Militärtechnik machten manche Burgen für die Verteidigung unbrauchbar, andere wurden immer wieder angepasst und aufgerüstet. Steigende Ansprüche an verfeinerte Repräsentation und höheren Wohnkomfort konnten zur Aufgabe von Burgen und deren Verfall oder Abriss führen. So gingen auch in Thüringen nach dem Ende des Mittelalters nicht wenige der wohl einst etwa 800 Burgen verloren oder wurden zu Ruinen. Viele erwiesen sich aber auch als wandlungsfähig und konnten veränderten Aufgaben angepasst werden.
Die Königsklasse des Funktionswandels ist der Ausbau zum Residenzschloss mit kontinuierlicher Nutzung bis zum Ende der Monarchie 1918. Das ist in den immerhin acht durchgängig relevanten Residenzstädten Thüringens der Regelfall. Oft ließ man dabei den mittelalterlichen Ursprung der Anlagen bewusst ablesbar – als Zeichen ehrwürdigen Alters und Ausweis althergebrachter Herrschaftsansprüche.
Residenzschloss Altenburg, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
In Thüringen ist die Dichte zur dauerhaft genutzten Herrscherresidenz ausgebauten ursprünglichen Burgen so hoch wie nirgends sonst. Dennoch konnte natürlich nur ein kleiner Teil des Burgenbestandes auf diese Weise vom Wandel der Herrschaftsstrukturen profitieren. Für die meisten Burgen ergaben sich weniger hervorgehobene Nutzungen wie Amtszentren, Witwensitze, Jagdschlösser, und vieles mehr – oder sie blieben Wohnsitze des niederen Adels, wechselten oft mehrfach die Besitzer und wurden immer wieder den veränderten Bedürfnissen angepasst.
Eine Burg, die es auf solche Weise bis in die Zeit um 1800 geschafft hatte oder wenigstens noch als Ruine bestand, war meist gerettet. Denn allmählich hatte sich jenseits von Nutzungspragmatismus und dynastischer Repräsentation eine allgemeine Wertschätzung für die alten Gemäuer durchgesetzt. Den Romantikern zeugten sie von einem idealisierten Mittelalter, dessen Spuren sie in malerisch in die Landschaft eingebetteten Burgen und Ruinen erkannten. Burgen wurden zu Traum-Orten, sie regten die Phantasie an. Doch dabei blieb es nicht. Das europäische Phänomen der Burgenromantik brachte gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine rege Bautätigkeit an vorgefundenen Burgen hervor. Sie wurden einem an Beobachtungen und Bildern geschulten Ideal angenähert, das sie als „Originale“ vielleicht nie erfüllt hatten.
Malerisches Ideal: Veste Heldburg, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Burgendenkmalpflege
Im 19. Jahrhundert setzte aber auch eine auf Substanzerhalt gerichtete Burgendenkmalpflege ein. Sie entsprach oft noch nicht heutigen Maßstäben, sicherte aber die Existenz vieler Burgen. Zugleich nahm die wissenschaftliche Erforschung von Burgen ihren Anfang. In Thüringen und anderswo sind mittelalterliche Burgen und der Umgang mit ihnen in den späteren Epochen zu einem Gesamtbild verschmolzen. Nicht selten bestimmen die gebauten Interpretationen des 19. und 20. Jahrhunderts unser Bild von der mittelalterlichen Burg mit.
Nur Kenner sehen auf den ersten Blick, dass das Torhaus am Oberschloss Kranichfeld nicht aus dem Mittelalter stammt – ausgerechnet das Bauteil der Anlage, das die Assoziation „Burg“ am deutlichsten hervorruft, ist erst um 1900 entstanden, nach Entwürfen des Burgenarchitekten Bodo Ebhardt.
Foto: STSG, Constantin Beyer
Aber auch Sicherungen mit geringem Deutungsgehalt – heute ein entscheidender Maßstab – sind schon im 19. Jahrhundert zu verzeichnen. So kam die Burgruine oberhalb des Kurorts Bad Liebenstein früh in den Genuss von Konservierungsarbeiten, denn sie stand mitten im weiteren Umfeld des großen Schlossparks Altenstein und bot sich als historischer Blickpunkt in der ab 1800 nach künstlerischen Gesichtspunkten aufgewerteten Landschaft der Umgebung an.
Blickfang in der Ideallandschaft: Burgruine Bad Liebenstein, Foto: STSG, Kurt Frein
Burgen regen noch heute die Phantasie an. Die Verführung ist groß, sie einfach als Zeugen des Mittelalters zu betrachten. Erst genaues Hinsehen zeigt die ganze Vielfalt des Phänomens „Burg“, das in Thüringen zu einer Zeitreise in alle Epochen des vergangenen Jahrtausends einlädt.
Franz Nagel
Das „Burgenland Thüringen“ steht in diesem Jahr in Thüringen im Mittelpunkt vieler besonderer Angebote. Auch die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten ist mit ihren Burgen dabei – und mit einer Tagung zum Thema: „Burgen im Wandel. Gestalt und Funktion wehrhafter Architektur in Thüringen“ am 18./19. Oktober 2024 auf der Veste Heldburg (www.thueringerschloesser.de)