Burgen in Thüringens Kulturlandschaft

Zeugen des Wandels

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Einen heute kaum mehr nachvollziehbaren Eindruck muss es gemacht haben, wenn im Mittelalter eine neue Burg emporwuchs. Der Großteil der Landbevölkerung lebte in niedrigen Holz- und Fachwerkbauten, und auch in Städten waren steinerne Gebäude eher die Ausnahme als die Regel. Neben Kirchen waren es die Burgen, die durch ihre Größe und ihr Material herausstachen. Eine Burg zu bauen, erforderte erhebliche Aufwendungen – und Macht. Denn es ging nicht nur um Geld und Baumaterial, sondern auch vor allem um Arbeitskräfte. Über all das konnte nur verfügen, wer Herrschaft ausübte, Anspruch auf Abgaben und Arbeitsdienste erheben konnte und Land besaß.

Eine Burg zu bauen, war ein Privileg der Herrschaft. Die Verfügbarkeit der Mittel allein genügte nicht. Eine Burg machte den Eigentümer wehrhaft und verlieh ihm praktische und symbolische Macht. Höherrangige Territorialherren achteten deswegen darauf, dass rangniedrigere Adelige ihnen in Sachen Burgenbau nicht zu nahe traten. Diese wiederum versuchten nicht selten, ihre Macht mithilfe von Burgen auszubauen und sich auf diese Weise Herrschaftsrechte zu sichern. Burgen manifestierten Macht, mit ihnen konnte man handfeste Politik machen. Und nicht zuletzt waren konkrete Herrschaftsrechte an sie geknüpft.

Wetteifernde Burgherren

Der noch heute die Thüringer Kulturlandschaft prägende enorme Burgenreichtum ist nicht zuletzt der Burgenpolitik mehrerer konkurrierender Adelsgeschlechter zu verdanken. In der Mitte des 13. Jahrhunderts beerbten die Wettiner, die als Markgrafen von Meißen an Macht gewonnen hatten, die ausgestorbenen Landgrafen von Thüringen. Sie übernahmen nicht nur deren Titel, sondern auch deren Burgen und Territorien. Zusätzlich bauten sie in den folgenden Jahrzehnten ihre Landesherrschaft aus. Damit gerieten sie in Konflikt zu den alteingesessenen Adelsgeschlechtern auf dem Gebiet des heutigen Freistaats, die den Expansionsbestrebungen zu trotzen suchten. Die Auseinandersetzungen gipfelten in einer mehrjährigen Auseinandersetzung, die als Thüringer Grafenkrieg in die Geschichte einging. Einige Dynastien hielte dem nicht stand. Klare Landgewinner waren die Wettiner. Behaupten konnten sich aber auch die Grafen von Schwarzburg und die Vögte von Weida mit ihren zahlreichen Linien, die späteren Grafen Reuß. Südlich des Thüringer Waldes blieben bis ins 16. Jahrhundert die Grafen von Henneberg bestimmend.

Ausgebaute Stammburg: Schloss Schwarzburg im Thüringer Wald,
Foto: IBA Thüringen, Thomas Müller

Die Schwarzburger gingen sogar gestärkt aus dem langen Machtkampf hervor. Ihnen gelang es, untergehenden Dynastien Herrschaftsgebiete und zugehörige Burgen abzugewinnen. Ursprünglich auf die Gegend um Arnstadt und Schwarzburg beschränkt, verfügten sie nun über Territorien im Norden Thüringens und konnten sich im mittleren Saaletal ausbreiten. Ihren Erfolg zeigen nicht nur die aus anderer Hand übernommenen Burgen, sondern auch strategische Neubauten, die den Landesausbau stützten und die Herrschaft festigten. Die Heidecksburg in Rudolstadt, eine ihrer beiden späteren Residenzen, entwanden die Schwarzburger den Grafen von Orlamünde, das zweite künftige Herrschaftszentrum Sondershausen gewannen sie per Erbvertrag mit den Grafen von Hohnstein hinzu. Die Burgen Ehrenstein einige Kilometer nordwestlich davon und Liebenstein im heutigen Ilmkreis hingegen errichteten sie neu.

Burgenbau mit Bedeutung

Maßstäbe für den Burgenbau setzten allerdings schon 200 Jahre vorher die Landgrafen von Thüringen. Die Wartburg mit ihrem Palas aus dem 12. Jahrhundert war nicht nur ein Ort der Landesherrschaft, sondern demonstrierte mit ihrer baukünstlerischen Qualität den Anspruch, in der ersten Liga zu spielen. Und damit war die Wartburg nur die wichtigste von mehreren Burgen der Landgrafen, an die sie ähnliche Maßstäbe anlegten. Auch die Neuenburg bei Freyburg an der Unstrut und – auf halber Strecke dorthin – die Burg Weißensee im Thüringer Becken suchten sie regelmäßig auf.

Thüringen ist reich an Burgen.
Burg Weißensee, Foto: STSG, Tino Trautmann

Mit dem Übergang an die Wettiner verloren die Burgen der Landgrafen von Thüringen ihre herausgehobene Residenzfunktion. Die Wartburg blieb vor allem als Garantin des Landgrafentitels von Bedeutung, der den Wettinern einen Sprung im Ranking der Dynastien verschaffte. Die Burg Weißensee war nun mehr ein Standort der regionalen Herrschaftsausübung und diente später lange als Zentrum des gleichnamigen Amtes.

Diese Funktionsbestimmung teilt die Burg Weißensee mit vielen anderen Burgen, die in der Frühen Neuzeit weiter genutzt wurden. Ihre mittelalterlichen Erbauer hatten aber selten bloße Verwaltungszwecke im Sinn. Neben dem Symbolwert und dem militärischen Nutzen konnte es sehr unterschiedliche Motivationen geben, eine Burg zu errichten – nach heutigen Maßstäben immerhin eine Millioneninvestition. Wer beispielsweise das Privileg hatte, an großen Handelswegen Zölle zu erheben, dem konnte eine Burg mit imposantem Aussehen und guter Übersicht sehr nützlich sein. Überhaupt konnten wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle spielen. Die Stadt Erfurt etwa unterhielt im Spätmittelalter mehrere Burgen im weiteren Umland, um die Grundlagen ihrer auf dem Waidanbau basierenden wirtschaftlichen Blüte zu sichern. Zu ihnen gehörte zeitweise die Wasserburg Kapellendorf, die aber – befristet an ein niederadeliges Bruderpaar übergeben – zwischendurch auch einmal zu einem recht gegenteiligen Zweck als Raubritter- und Erpressernest benutzt wurde. Weitere Gründe für den Burgenbau konnten das Sichern von Grenzlinien oder das Bedürfnis nach Unterkünften für die kaiserliche Reiseherrschaft sein. Selten war nur ein Grund ausschlaggebend.

Wirtschaftsburg und Räubernest: Wasserburg Kapellendorf,
Foto: STSG, Philipp Hort

Wandelnde Funktionen

Änderte sich die Situation, die für den Bau und die Platzwahl entscheidend war, wurden Burgen nicht selten aufgegeben. Die Fortschritte in der Militärtechnik machten manche Burgen für die Verteidigung unbrauchbar, andere wurden immer wieder angepasst und aufgerüstet. Steigende Ansprüche an verfeinerte Repräsentation und höheren Wohnkomfort konnten zur Aufgabe von Burgen und deren Verfall oder Abriss führen. So gingen auch in Thüringen nach dem Ende des Mittelalters nicht wenige der wohl einst etwa 800 Burgen verloren oder wurden zu Ruinen. Viele erwiesen sich aber auch als wandlungsfähig und konnten veränderten Aufgaben angepasst werden.

In Thüringen ist die Dichte zur dauerhaft genutzten Herrscherresidenz ausgebauten ursprünglichen Burgen so hoch wie nirgends sonst. Dennoch konnte natürlich nur ein kleiner Teil des Burgenbestandes auf diese Weise vom Wandel der Herrschaftsstrukturen profitieren. Für die meisten Burgen ergaben sich weniger hervorgehobene Nutzungen wie Amtszentren, Witwensitze, Jagdschlösser, und vieles mehr – oder sie blieben Wohnsitze des niederen Adels, wechselten oft mehrfach die Besitzer und wurden immer wieder den veränderten Bedürfnissen angepasst.

Eine Burg, die es auf solche Weise bis in die Zeit um 1800 geschafft hatte oder wenigstens noch als Ruine bestand, war meist gerettet. Denn allmählich hatte sich jenseits von Nutzungspragmatismus und dynastischer Repräsentation eine allgemeine Wertschätzung für die alten Gemäuer durchgesetzt. Den Romantikern zeugten sie von einem idealisierten Mittelalter, dessen Spuren sie in malerisch in die Landschaft eingebetteten Burgen und Ruinen erkannten. Burgen wurden zu Traum-Orten, sie regten die Phantasie an. Doch dabei blieb es nicht. Das europäische Phänomen der Burgenromantik brachte gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine rege Bautätigkeit an vorgefundenen Burgen hervor. Sie wurden einem an Beobachtungen und Bildern geschulten Ideal angenähert, das sie als „Originale“ vielleicht nie erfüllt hatten.

Malerisches Ideal: Veste Heldburg,
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Burgendenkmalpflege

Im 19. Jahrhundert setzte aber auch eine auf Substanzerhalt gerichtete Burgendenkmalpflege ein. Sie entsprach oft noch nicht heutigen Maßstäben, sicherte aber die Existenz vieler Burgen. Zugleich nahm die wissenschaftliche Erforschung von Burgen ihren Anfang. In Thüringen und anderswo sind mittelalterliche Burgen und der Umgang mit ihnen in den späteren Epochen zu einem Gesamtbild verschmolzen. Nicht selten bestimmen die gebauten Interpretationen des 19. und 20. Jahrhunderts unser Bild von der mittelalterlichen Burg mit.

Aber auch Sicherungen mit geringem Deutungsgehalt – heute ein entscheidender Maßstab – sind schon im 19. Jahrhundert zu verzeichnen. So kam die Burgruine oberhalb des Kurorts Bad Liebenstein früh in den Genuss von Konservierungsarbeiten, denn sie stand mitten im weiteren Umfeld des großen Schlossparks Altenstein und bot sich als historischer Blickpunkt in der ab 1800 nach künstlerischen Gesichtspunkten aufgewerteten Landschaft der Umgebung an.

Blickfang in der Ideallandschaft: Burgruine Bad Liebenstein, Foto: STSG, Kurt Frein

Burgen regen noch heute die Phantasie an. Die Verführung ist groß, sie einfach als Zeugen des Mittelalters zu betrachten. Erst genaues Hinsehen zeigt die ganze Vielfalt des Phänomens „Burg“, das in Thüringen zu einer Zeitreise in alle Epochen des vergangenen Jahrtausends einlädt.

Franz Nagel

Das „Burgenland Thüringen“ steht in diesem Jahr in Thüringen im Mittelpunkt vieler besonderer Angebote. Auch die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten ist mit ihren Burgen dabei – und mit einer Tagung zum Thema: „Burgen im Wandel. Gestalt und Funktion wehrhafter Architektur in Thüringen“ am 18./19. Oktober 2024 auf der Veste Heldburg (www.thueringerschloesser.de)


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