Welterbe-Vorhaben „Thüringische Residenzenlandschaft“

Neun Residenzen, ein Kulturerbe

KulturgeschichteVermittlung
Ganz Deutschland hatte kurz nach 1800 das Heilige Römische Reich deutscher Nation hinter sich gelassen. Ganz Deutschland? Nein – in einem überschaubaren Landstrich im Zentrum des 1806 aufgelösten Reichs blieben zumindest dessen kleinteilige Strukturen erhalten. Auf dem Gebiet des heutigen Thüringens existierten noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch und bis zur Revolution 1918 eine Reihe von Kleinstaaten, zum Teil kleiner als heutige Landkreise. Regiert wurden sie von Teillinien der Häuser Wettin, Schwarzburg und Reuß. Die neun Kleinstaaten waren bereits das Ergebnis einer Konsolidierung. Um 1700, als die Erbteilungen ihren Höhepunkt erreicht hatten, existierten hier für kurze Zeit rund 20 Einzelherrschaften gleichzeitig. Jeder der kleinen Staaten verfügte über eine Residenz und eine Infrastruktur für Hofhaltung und Landesverwaltung.

Als in den meisten anderen Teilen Deutschlands im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen kleine Territorien aufgelöst und zu größeren Staatsgebilden zusammengeführt wurden, konnten die Thüringer Fürsten erfolgreich ihre Eigenständigkeit zumindest in Form einer Teilsouveränität bewahren. Mit ihnen blieben auch die Bauten erhalten, in denen residiert und regiert wurde. Thüringen verfügt deshalb über neun Residenzen in acht Residenzstädten, die seit der Frühen Neuzeit bis 1918 fast vollständig durchgängig als Regierungssitze dienten.

Oberes Schloss Greiz, Foto: TSK, Jacob Schröter

Den Zeitgenossen entging die zuweilen kuriose Kleinteiligkeit nicht. Nicht selten war sie auch Gegenstand von Spott und Infragestellung. Umso wichtiger war für die Fürsten eine sichtbare Legitimation. Dazu leisteten die Residenzschlösser selbst einen wichtigen Beitrag. Sie wurden über Jahrhunderte ausgebaut, verändert und ergänzt. Oft blieb Altes dabei erhalten – manchmal aus Gründen der Sparsamkeit, oft aber wohl auch im Bewusstsein des sozialen Kapitals, den das Alter eines sichtbaren Bauteils bedeutete.

Residenzschloss Altenburg

Das erkennbare Alter der Gebäude und ihres Gewachsenseins über Jahrhunderte zahlte sich aus, zeigte es doch die lange Herrschaftstradition der dort regierenden Dynastie. Dieser Wert wurde auch über das 19. Jahrhundert getragen und oft durch historisierende Bauprojekte noch verstärkt. Bis heute ist deshalb an den Residenzschlössern in Thüringen die Geschichte ablesbar. In einer solchen Dichte, engen Vernetzung und gegenseitigen Beeinflussung wie in Thüringen ist die aus dem Heiligen Römischen Reich erhaltene Residenzenlandschaft nirgendwo sonst baulich integer und in eindrucksvoller Originalität überliefert.

Schloss Friedenstein Gotha

Das Land Thüringen hat deshalb bei der Kultusministerkonferenz beantragt, die Thüringische Residenzenlandschaft in die nächste deutsche Vorschlagsliste des UNESCO-Welterbes aufzunehmen. Den Antrag dafür hat die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mit einem eigens eingerichteten Welterbe-Kompetenzzentrum erarbeitet. Noch 2023 wird die Entscheidung der Kultusministerkonferenz über die nächste deutsche Kandidatenliste erwartet. Wird der Vorschlag aufgegriffen, kann der Antrag für das UNSECO-Welterbekomitee erarbeitet werden, ein umfangreiches wissenschaftliches und gesellschaftliches Unterfangen.

Franz Nagel

Diese neun Residenzen in acht Residenzstädten sind Teil des Antrags:

  • Residenzschloss Altenburg
  • Residenzschloss Sondershausen
  • Residenzschloss Heidecksburg Rudolstadt
  • Residenzschloss Weimar
  • Residenzschloss Elisabethenburg Meiningen
  • Residenzschloss Friedenstein Gotha
  • Residenzschloss Ehrenburg Coburg
  • Residenz Oberes Schloss Greiz
  • Unteres Schloss Greiz

Nachtrag

Das kulturelle Erbe „Thüringische Residenzenlandschaft“ ist nicht Bestandteil der neuen deutschen Vorschlagsliste für das UNESCO-Welterbe. Darüber hat am 4. Dezember 2023 die Kultusministerkonferenz der Länder entschieden. Die sogenannte Tentativliste dient in den nächsten Jahren als Grundlage für Vorschläge der Bundesrepublik an das UNESCO-Welterbe-Komitee mit Sitz in Paris. Thüringen hatte sich mit neun Residenzen in acht Residenzstädten dafür beworben, darunter auch eine bayerische Stadt. Das Land und die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) sehen dennoch weiter großes Potential in dem Vorhaben und möchten es weiter verfolgen.

Land und STSG prüfen nun gemeinsam den weiteren Weg für das Welt-erbe-Vorhaben „Thüringische Residenzenlandschaft“. Eine Weiterbe-arbeitung für die Vorlage in der nächsten Kandidatenrunde steht dabei im Vordergrund. Im zurückliegenden Erarbeitungsprozess haben sich zahlreiche Aspekte ergeben, die durch notwendige Forschungen fruchtbar gemacht werden können. Parallel wird aber auch die Bewer-bung um das Europäische Kultursiegel erwogen, dessen Grundidee übergreifende Netzwerke in den Mittelpunkt rückt. Beide Wege können sich ergänzen. Zudem soll das Potential des kulturellen Erbes für außer-schulische und schulische Bildung stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Bildung und gesellschaftliche Partizipation spielen im Zusam-menhang mit dem UNESCO-Welterbe als Aspekt nachhaltigen Umgangs mit Kulturdenkmalen inzwischen eine zentrale Rolle.

Klimawandel und Gartendenkmalpflege

Kunst aus bedrohtem Material

DenkmalpflegeGartenkultur
Historische Gärten nutzen als gestaltete Natur einer Vielzahl von Pflanzen als künstlerisches Medium, das dem natürlichen Zyklus des Wachsens und Vergehens unterworfen ist. Gartenkunstwerke sind besonders empfindlich für die Umweltbedingungen und Klimaeinflüsse. Wenn sich das Klima grundlegend verändert, hat dies auch Auswirkungen auf die historischen Gärten in Thüringen. Die Klimaforschung hat für das Gebiet des Freistaats bisher bereits verschiedene klimatische Veränderungen für die letzten Jahrzehnte festgestellt und im steigenden Maße für die Zukunft prognostiziert. Die Auswirkungen können dabei allgemein sein, für einzelne Naturräume – und dazu zählen auch Parks und Gärten als besonders gehegte Horte der Artenvielfalt – haben sie schon jetzt teils dramatische Folgen.

So prognostizieren Modellrechnungen bis zum Jahr 2100 einen Anstieg der Jahresmitteltemperaturen, die Jahresniederschlagsmengen könnten annähernd konstant bleiben. Allerdings wird langfristig eine sinkende Niederschlagsmenge in den Sommermonaten erwartet, der eine steigende Menge in den Wintermonaten gegenübersteht. Dazu wird langfristig mit häufigeren und intensiveren Starkregenereignissen gerechnet. Bedeutend für die historischen Gärten sind darüber hinaus die häufiger auftretenden und an Stärke zunehmenden Stürme, die zu großflächigem Windbruch führen.

Thüringer Beispiele zeigen, dass klimatische Auswirkungen auf die Parkanlagen teils dramatische Folgen haben und die Notwendigkeit zur weiteren Erforschung, präventivem Schutz sowie zu einer angemessenen haushälterischen, und personellen Ausstattung besteht, um auch unter sich ändernden Umweltbedingungen die Anlagen als Kulturdenkmale zu erhalten. In den Jahren 2018 bis 2020 waren die Baumverluste in Anlagen der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten jeweils etwa dreimal so groß wie im Durchschnitt der Vorjahre.

Windbruch im Schlosspark Altenstein, Foto: STSG, Dietger Hagner

Sturm, Starkregen, Trockenheit

Besonders anfällig ist der Schlosspark Altenstein mit seiner Lage im nordwestlichen Thüringer Wald mit bergiger Topographie und hohem Parkwaldanteil. Stürme, starke Regenfälle, aber auch plötzliche Wintereinbrüche, haben sich in Häufigkeit und Intensität in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Während es in der Vergangenheit erfahrungsgemäß vielleicht alle 10 bis 20 Jahre stärkere Stürme gab, war der Park allein zwischen 2007 und 2013 dreimal betroffen. Massive Schäden und Verluste im historischen Baumbestand waren die Folge. Starke Regenfälle schädigen immer häufiger das rund 20 Kilometer lange Wegesystem.

Im Herzoglichen Park Gotha ist die Trockenheit das drängendste Problem. Nach mehreren niederschlagsarmen Jahren ist der Stress für die zum Teil 250jährigen Gehölze inzwischen so groß, dass Vorschädigungen oder Schädlinge leichtes Spiel haben. Die Gehölze reagieren zunehmend mit Wachstumsproblemen und Vitalitätsverlusten und können zum Totalausfall einer ganzen Art führen, woraus sich eine massive Beeinträchtigung des originalen Artenspektrums im Park ergibt.

Kein Widerspruch zur Trockenheitstendenz sind Hochwasserereignisse infolge starken Regens. Der Fürstlich Greizer Park ist mit beiden Gefahren konfrontiert. Das jüngste Hochwasser 2013 überflutete den Park mit einem Pegelstand von sechs Metern. Problematisch waren neben dem Wasserstand vor allem zerstörerische Strömungen. Die Langzeitfolgen sind immer noch zu spüren und überlagern sich mit den Trockenheitsschäden der auf das Hochwasser folgenden Jahre. Waren die Bäume 2013 durch zu viel Nässe und Schlammauflagen geschwächt, werden sie nun oft nicht ausreichend mit Wasser versorgt.

Hochwasserschäden im Fürstlich Greizer Park 2013,
Foto: STSG, Hajo Dietz Luftbildfotografie

Klimafolgeschäden verursachen einen erheblich erhöhten Aufwand für die Parkpflegeteams und verlagern deren Arbeitsschwerpunkte. Gartendenkmalpflegerische Aufgaben wie die Wiederherstellung historischer Gestaltungszustände und die laufend notwendigen Pflegearbeiten drohen in den Hintergrund zu rücken, während die Pflichten der Verkehrssicherung, der Bestandserhalt und die Regeneration verlorener Pflanzungen in den Vordergrund drängen. Die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten arbeitet intensiv mit verschiedenen Partnern an wissenschaftlich fundierten Lösungsstrategien gartendenkmalpflegerischer Qualität im Umgang mit klimasensiblen Kulturdenkmalen. Zudem wächst mit den Klimafolgen der finanzielle Bedarf für die Parkpflege, zudem wird die ohnehin knappe Personalsituation in den Parkteams zusätzlich verschärft.

Strategien der Gartendenkmalpflege

‚Resilienz‘ und ‚Habitus‘ sind dabei die entscheidenden Fachbegriffe, wenn es in der modernen Gartendenkmalpflege um Gehölze, vor allem aber um Bäume geht. Wie das Fachgebiet selbst, haben auch die hinter diesen Begriffen stehenden Konzepte eine viele Generationen zurückreichende Tradition, bedürfen aber einer zeitgenössischen Auslegung und Praxis. Kern der Gartendenkmalpflege ist der Erhalt von Kunstwerken aus lebendem Material. Das Ersetzen von Pflanzen gehört zur Geschichte eines Gartens und ist deshalb eigentlich traditionelles Alltagsgeschäft. Allerdings hat der Klimawandel in den letzten Jahren die Bedingungen rasant verändert, in dessen Folge die gartenkünstlerische Funktion von Bäumen immer häufiger nicht durch Altersschwäche verlorengeht, sondern durch Trockenstress.

Genbasierte Vorgehensweisen sollen nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie ermöglichen Resilienz –also möglichst hohe Toleranz gegenüber Klimafolgen – und stellen möglichst große Ähnlichkeit mit dem Habitus eines Baums – also seiner Wuchs- und Kronenform – sicher. In der Forstwirtschaft ist das schon lange Standard. Es ist sogar naturschutzrechtlich festgelegt, dass Gehölze in freier Landschaft nicht aus anderen Naturräumen kommen dürfen. Der Grund ist ganz einfach: Pflanzen passen sich an die Klima- und Bodenbedingungen an und speichern die speziellen Eigenschaften in ihrem genetischen Code. Wenn man ihn nutzt, ist die Anpassungsfähigkeit an weitere Entwicklungen deutlich größer, die Pflanzen sind resilienter. Und es ist ein Beitrag zur genetischen Vielfalt: Je mehr unterschiedliche regionale Genpools wir haben, desto größer ist die Auswahl an Anpassungsformen, von deren späterem Nutzen man jetzt vielleicht noch gar nichts weiß.

Dietger Hagner