Freigelegte Baugeschichte im Westflügel von Schloss Friedenstein

Beredtes Innenleben

AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflege
Viele Fenster in die Vergangenheit sind derzeit auf Schloss Friedenstein geöffnet. Und das nicht nur wie in Schlössern üblich in Gestalt von historischen Räumen und ihren Ausstattungen.

Im Westflügel und im Westturm, einem Schwerpunkt der mehrjährigen Sanierungsarbeiten, sind in großem Umfang Teile der Baukonstruktion freigelegt worden. Das war nötig für die Planung konkreter Eingriffe in die Statik des fast 400 Jahre alten Gebäudes. Zugleich erlauben die Freilegungen aber auch Einblicke in die Baugeschichte und in die Vorgehensweisen der Baumeister vergangener Jahrhunderte.

Schloss Friedenstein in Gotha,
Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Gezielt wurden Bauteile freigelegt, die Statiker zuvor als kritisch identifiziert hatten. Unter Putz und hinter Wandverkleidungen verborgene Mauern, Gewölbeansätze oder Fachwerkkonstruktionen können nur so im Hinblick auf ihre Tragfähigkeit beurteilt werden. Um Lasten zu berechnen, müssen Bodenaufbauten bekannt sein und Zwischenwände in den Geschossen genau unter die Lupe genommen werden. Außerdem gab es an vielen Stellen noch Einbauten und technische Installationen aus dem 20. Jahrhundert, die bei dieser Gelegenheit im Vorgriff auf die Sanierungsarbeiten entfernt werden konnten.

Rückbauarbeiten im Westflügel 2024, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Besonders eindrucksvoll sind die Ergebnisse im Westturm. Direkt über dem berühmten Ekhof-Theater befand sich ursprünglich ein großer Raum, der jedoch schon bald durch Fachwerkwände unterteilt wurde. Beim nachträglichen Einbau dieser Wände muteten die Baumeister der darunter liegenden Deckenkonstruktion etwas zu viel zu. Das wirkte sich nicht unmittelbar aus, führte aber im Lauf der Zeit zu Verformungen. Feuchtigkeit, Hausschwamm und Schädlinge taten ihr Übriges. Und so war der Anblick, der sich den Fachleuten nach der Freilegung bot, nicht nur interessant, sondern auch beunruhigend. Hier konnte man nicht bis zur Sanierung warten, darin waren sich die Experten einig. Binnen weniger Wochen wurde das Tragwerk des Geschosses notgesichert, die Lasten ruhen nun wieder auf den massiven Außenmauern. Damit ist auch das Ekhof-Theater unmittelbar darunter außer Gefahr, wenige Tage nach Abschluss der Sicherungen konnte hier dank des zügigen Handelns das jährliche Ekhof-Festival planmäßig stattfinden.

Mitarbeiter des Bauhof aus Nohra bei der Sicherung der Decke über dem Ekhof-Theater 2024, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Neben der Statik geht es auch um die Abfolge von Bauphasen, Nutzungen und Ausstattungen. So finden sich an vielen Stellen unter dem Parkett des 19. und 20. Jahrhunderts noch Estrichböden aus dem 17. Jahrhundert. Auch hinter vorsichtig abgenommenen und eingelagerten Wandverkleidungen haben sich häufig noch ältere Gestaltungselemente erhalten.

Immer wieder kommt es bei den Freilegungen auch zu spannenden Entdeckungen von bisher unbekannten Details. Beim Ausbau eines jüngeren Bodenbelags im ersten Obergeschoss des Westflügels kam eine Luke zum Vorschein, die den Raum mit einem Gewölbe im Erdgeschoss verbindet. Da sich unter dem Gewölbe lange die Münzstätte des Herzogtums Sachsen-Gotha befand und der Raum darüber zur gleichen Zeit zum Bereich der Staatsverwaltung gehörte, liegt die Vermutung nahe, dass die Luke zur Kontrolle des Geschehens in der Münze dienen sollte – immerhin wurde dort mit wertvollen Materialien hantiert.

Zu den Funden unter Bodenbelägen und hinter Vertäfelungen gehören beispielsweise auch eine Flaschenpost aus dem späten 19. Jahrhundert und Gewehrpatronen aus der kurzen Zeit der amerikanischen Besatzung unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die Freilegungen stehen im Zusammenhang einer großen Aufgabe: 110 Millionen Euro stehen für die Sanierung von Schloss Friedenstein zur Verfügung, je zur Hälfte finanziert von Bund und Land – das weitaus größte Projekt unter den aktuell laufenden Sonderinvestitionsmaßnahmen der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Mit den verfügbaren Mitteln sollen in den nächsten Jahren umfassende Sanierungsarbeiten in mehreren Teilbereichen des Schlosses umgesetzt werden. Ein wichtiger Abschnitt – die Sanierung des Dachs über dem 100 Meter langen Westflügel – ist schon erledigt, 2025 soll das neue Treppenhaus mit Aufzug am Übergang zwischen Westflügel und Westturm fertig sein. Daran wird sich die Innensanierung des Westflügels anschließen. In Vorbereitung sind außerdem die Sanierung der Arkadenpfeiler im Hof und die Maßnahmen an Ostflügel und Ostturm.

Franz Nagel

Das Renaissanceschloss Dornburg wird saniert

Lose Verbindungen

BaugeschehenDenkmalpflegeSonderinvestitionsprogramm I
Zweifellos war Johann Wolfgang von Goethe ein kulturelles Schwergewicht, das bis heute in kaum zu ermessender Weise Wirkung entfaltet. Aber auch wenn er sich an seinem Lebensabend für einige Zeit im Renaissanceschloss niedergelassen hat – die statischen Schäden an dem Gebäude mit Ursprüngen im 16. Jahrhundert kann man ihm nicht anlasten. Sie sind durch Um- und Anbauten und durch eine ununterbrochen intensive Nutzung entstanden.

Als Goethe im Spätsommer 1828 nach Dornburg kam, nachdem sein Freund und Mäzen Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach gestorben war, bezog er für mehrere Wochen ein kleines Appartement im ersten Obergeschoss. Das attraktivste der drei Zimmer war die Bergstube, mit Fenstern an zwei Seiten und dem besten Blick ins Saaletal. Der Raum, den er nun als Arbeitszimmer nutzte, befindet sich in einem Anbau, der erst einige Jahrzehnte zuvor angefügt worden war – in leichterer Bauweise als der massive deutlich ältere Ursprungsbau. Aber der neue Gebäudetrakt mit dem heute durch Goethes Aufenthalt wichtigsten Raum des Schlosses ist nicht nur weniger solide, sondern auch nur recht nachlässig mit dem Hauptbau verbunden. Die Wände wurden einfach angesetzt, und auch das Dach steht konstruktiv eher neben dem Hauptdach als dass es fest mit ihm verknüpft wäre. Hinzu kommt, dass der Anbau – wie das Schloss insgesamt – an der Hangkante zum Saaletal steht.

Direkt an der Hangkante thront das Renaissanceschloss zusammen mit den beiden weiteren Dornburger Schlössern über dem Saaletal. Foto: STSG, Philipp Hort

Die Hanglage, die für eine imposante Fernwirkung sorgt, trug ihren Teil dazu bei, dass der Anbau abdriftet. Wohl schon bald nach der Errichtung tat sich ein Spalt auf, der äußerlich immer wieder gekittet wurde. Auch im Kerngebäude haben sich im Lauf der Jahrhunderte schwere Schäden an Dach und Statik eingestellt. Nun bietet das Sonderinvestitionsprogramm I (SIP I) der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) die Gelegenheit, das gesamte Bauwerk wieder auf solide Füße zu stellen. Dazu haben die Experten der STSG und beauftragte Spezialisten inzwischen vom Keller bis zum Dach alles genau untersucht. Der Befund der Statiker: Der Anbau ist nur ein Teil des Problems, der gesamte Dachstuhl ist nicht funktionsfähig, und auch im Gebäudeinneren werden Lasten zum Teil nicht richtig abgefangen.

Blick in den Dachstuhl des Renaissanceschlosses in Dornburg,
Foto: STSG, Philipp Hort

Im Dachstuhl gibt es Verbindungen, denen sogar Laien auf den ersten Blick ansehen, dass sie nicht funktionieren. Mal stoßen Sparren und Verstrebungen stumpf aufeinander, mal zerbröseln Balkenköpfe bei einfacher Berührung. Hinzu kommen Überlastungen durch Umbauten im 20. Jahrhundert, für die das Gebälk nicht gerüstet war, das angesetzte Dach des Anbaus und ein kleines Dach an der Fassade, das sogar nur gegen den Treppenturm gelehnt ist.

Blick in das Dachgeschoss mit Bauteilfreilegungen,
Foto: STSG, Philipp Hort

Um alles sicht- und vermessbar zu machen, mussten im Dachgeschoss erst jüngere Verkleidungen abgenommen werden. Auch den Zustand der Decken und Wände darunter konnten die Fachleute nur mit gezielten Öffnungen von Putz und Holzverkleidungen einschätzen. Die Vermutung bestätigte sich, dass auch hier vieles im Argen ist. Im ersten Obergeschoss wurde eine Wand eingebaut, die im Erdgeschoss kein Pendant hat, das ihr Gewicht aufnehmen würde. Nach und nach haben die Untersuchungen Licht ins Dunkel gebracht und für alle Schäden eine Ursache gefunden. Auf dieser Grundlage wurde die detaillierte Planung der nötigen Eingriffe geplant. 2025 sollen die Bauarbeiten vor Ort beginnen.

Freilegung der Konstruktion im früheren Carl-August-Zimmer,
Foto: STSG, Philipp Hort

Die Statik ist aber nicht die einzige Aufgabe, die bei der Sanierung zu lösen ist. Die Dachdeckung muss vollständig erneuert werden, und auch die Fassade steht auf dem Plan für die Handwerker. Im Inneren wird in einem Bereich, der bereits in den 1960er Jahren stark verändert wurde, ein neues Treppenhaus mit Aufzug eingebaut. Die Treppe dient als notwendiger zweiter Fluchtweg, der Aufzug dem Abbau von Barrieren für die Gäste. Goethe hätte die damit verbundene Bequemlichkeit sicher auch geschätzt – ebenso wie Großherzog Carl August, der sich vis-à-vis der kurzzeitigen Dichterwohnung einige Jahre vor seinem Tod ein kleines Sommerappartement hatte einrichten lassen.

Franz Nagel

Unvollendeter Bauschmuck am Prinzessinnenbau auf der Wasserburg Kapellendorf

Baustopp im Barock

AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflegeKulturgeschichte
Im frühen 18. Jahrhundert bekam die Wasserburg Kapellendorf Zuwachs. Ein kleines Schlösschen wurde zwischen die älteren, entlang des äußeren Rings der Burg errichteten Bauten eingefügt.

Anders als der für das neue jüngste Bauwerk der Anlage geläufige Name „Prinzessinnenbau“ vielleicht vermuten lässt, war es nicht für eine künftige Regentin bestimmt, sondern sollte als Witwensitz dienen. Eleonore Wilhelmine, gebürtige Prinzessin von Anhalt-Dessau, sollte hier im Fall des früheren Ablebens ihres Mannes Herzog Ernst von Sachsen-Weimar ihren standesgemäßen Wohnsitz einrichten können.

Prinzessinnenbau der Wasserburg Kapellendorf,
Foto: STSG, Philipp Hort

Der Bauplatz war mit Bedacht gewählt. 200 Jahre zuvor hatte die ernestinische Linie der Wettiner die im 12. Jahrhundert begonnene und im späten Mittelalter durch die Stadt Erfurt als Vorposten ausgebaute Burg übernommen. Nach ihrer Niederlage im Schmalkaldischen Krieg hatten sie ihre Hauptresidenz Torgau verloren und hatten seither im nahen Weimar ihr wichtigstes Herrschaftszentrum. Dort residierte nach Erbteilungen die Stammlinie Sachsen-Weimar. Die Wasserburg Kapellendorf diente dem Herzogshaus als Sitz eines von zahlreichen Ämtern, war also vor allem ein Wirtschafts- und Verwaltungszentrum für die unmittelbare Umgebung. Als Standort für einen Witwensitz eignete sich die Anlage aufgrund ihrer bereits vorhandenen herrschaftlichen Infrastruktur. Sie bot aber auch die notwendige Sicherheit.

Wasserburg Kapellendorf

1723 war Grundsteinlegung für den Neubau, für den zum Teil Abbruchmaterial vom mittelalterlichen Bergfried zum Einsatz kam. Die Rohbauarbeiten gingen gut voran, 1726 war das Gebäude unter Dach. Doch bevor der Ausbau begann, verstarb Eleonore Wilhelmine. Damit war der Anlass für das Projekt passé, und der Bau kam zum Erliegen. Das abrupte Ende lässt sich nicht nur am fehlenden Ausbau der Innenräume ablesen – hier wurde Jahre später ein Getreidelager für die Aufgaben der Amtsverwaltung eingerichtet –, sondern auch an der Hoffassade.

Walmdach, Putzfassade, regelmäßig angeordnete Fenster mit flachen Bögen, ein niedriges Mezzaningeschoss über dem herrschaftlichen ersten Obergeschoss, in der Mitte ein Portal mit Segmentbogen darüber – alles wirkt wie ein schlichter, aber repräsentativer Barockbau. Erst der genauere Blick macht stutzig. Die Sandsteinbögen über den Fenstern sind nur grob behauen, so als hätten die Steinmetze von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit beendet.

Ostfassade des Prinzessinnenbaus, Foto: STSG, Philipp Hort

In der Tat war es damals üblich, den Bauschmuck vor dem Einbau der herausgehobenen Elemente nur grob vorzufertigen, die feine Ausarbeitung folgte dann an Ort und stelle vom Gerüst aus. Auf diese Wiese konnte beim Bauen Zeit gespart werden und die aufwendigeren Ornamente fügten sich im Detail perfekt in die fertige Fassade. So legten auch in Kapellendorf die Bildhauer die Formen nur in ihren ungefähren Volumina an, der Baustopp verhinderte den Abschluss. Was dem Architekten sicher ein Dorn im Auge war, ist heute ein seltener Schatz. Ist doch sonst nur selten eine barocke Baustelle als work in progress gewissermaßen eingefroren worden. Mit dem Prinzessinnenbau ist auf diese Weise – wenn auch unbeabsichtigt – ein Zeugnis barocker Baukultur überliefert.

Franz Nagel

Im von Bund und Land geförderten Sonderinvestitionsprogramm I der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten werden Dach und Fassaden des Prinzessinnenbaus der Wasserburg Kapellendorf saniert. Seine rohe Bauschmuck-Schönheit bleibt dabei erhalten.

Zeichen einer Reformbewegung am Kloster Paulinzella

Eine Nase macht Schule

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Als 1107 der Mönch Gerung als Abt aus dem Kloster Hirsau im Schwarzwald nach Thüringen kam, brachte er Reformkonzepte mit – und Nasen.

Kurz nach 1100 hatte sich die Adelige Paulina am Nordhang des Thüringer Waldes mit Gleichgesinnten niedergelassen und eine religiöse Gemeinschaft gegründet. Mit der Ankunft von Abt Gerung 1107 wurde das bald nach seiner Gründerin benannte Kloster zu einer Filiale Hirsaus. Damit verbunden war eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Benediktinerordens, die auch in den Kirchenbauten sichtbar werden sollte. In Hirsau hatte man das einige Jahre vorher erprobt, nun machte es Schule.

Blick in die Ruine der Klosterkirche Paulinzella,
Foto: STSG, Wolfgang Werner

Analog zum Reformgedanken des Vereinfachens ging es auch beim Bauen um ein schlichtes Erscheinungsbild und eine Raumgliederung, die den liturgischen Vorstellungen der Mönche entsprach und ihren Gottesdiensten eine maßgeschneiderte Raumstruktur bot. Mönchische Reformbewegungen ergaben sich mehrfach während des Mittelalters aus der Erkenntnis, dass sich die Kirche und vor allem das Leben in den Klöstern zu weit von den Ursprüngen und Regeln entfernt hatten. Der Benediktinerorden als ältester Orden, basierend auf der Regel des Heiligen Benedikt, stand dabei oft im Mittelpunkt. Aus seinen Reihen entstanden mehrere wirkungsvolle Reformbewegungen, die sich gegen Verweltlichungs- und Dekadenzerscheinungen richteten und die Benediktsregel zum Maßstab machten.

Eines dieser Reformzentren war das Kloster Hirsau. Aber auch die Hirsauer Mönche hatten die Ideen für die Klosterreform und ein davon geprägtes Bauen nicht allein entwickelt, sondern sich weiter westlich orientiert. Ihre Kirche St. Peter und Paul hatten sie am Ende des 11. Jahrhunderts nach dem Muster der Klosterkirche von Cluny in Burgund gebaut, von wo sie auch wesentliche Teile ihrer Reformvorstellungen übernahmen.

Klosterkirche Paulinzella, Foto: STSG, Wolfgang Werner

Ideelles und Bauliches brachten Gerung und seine ebenfalls aus Hirsau entsandten Nachfolger mit nach Paulinzella. Beim Bau der Kirche machte sich das in vielerlei Hinsicht bemerkbar. Schon die Qualität der handwerklichen Ausführung mit exaktem Quadermauerwerk und fein ausgearbeitetem Bauschmuck stach hervor. Das Ergebnis ist eine schlichte Monumentalität. Aber auch in ihrer Raumaufteilung bildet die Kirche die Vorstellungen der Reformmönche ab. Es gibt einen Chorbereich mit mehreren hierarchisch gestaffelten Apsiden für Altäre und eine Vierung mit Platz für die Mönche, die den Gottesdienst feierten. Daran schließt sich ein Bereich für die Mönche an, die aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht aktiv mitwirken konnten. Erst danach befand sich der Bereich für die Laien, die von den Mönchen durch einen Lettner abgeschrankt waren. Der Lettner ist zwar in der heutigen Kirchenruine nicht mehr vorhanden, aber die rechteckige Grundform der beiden Arkadenpfeiler zeigt diesen Bereich deutlich an – der Laienbereich ist durch runde Säulen abgesetzt.

Würfelkapitell in der Klosterkirche Paulinzella, Foto: STSG, Tino Trautmann

Neben charakteristischem Grundriss und herausragenden baumeisterlichen Fähigkeiten zeichnet der motivisch zurückgenommene, dafür aber in der Formgestaltung ausgefeilte Bauschmuck die von Hirsau beeinflussten Kirchen aus. Würfelkapitelle gehören zu den dafür gewählten Formen. Oft sind als Schmuck nur einfache oder etwas gestaffelte Halbkreisformen reliefartig herausgearbeitet. An diesen Kapitellen findet sich ein winziges Detail, das untrüglich die Verbindung nach Hirsau herstellt: An den oberen Ecken weist stets ein kleiner Zacken nach unten. In der Kunstwissenschaft als Hirsauer Nase bezeichnet, kennzeichnet dieses leicht zu übersehende Element viele unter dem Einfluss des Schwarzwälder Reformzentrums entstandene Kirchenbauten. Als subtile Signatur findet es sich zum Beispiel auch an Schildkapitellen im Kloster Thalbürgel wieder. Dessen Bau schufen nach 1133 Mönche aus Paulinzella, das inzwischen als klösterliches Zentrum etabliert war und selbst Strahlkraft entfalten konnte.

Franz Nagel

Derzeit ist die Klosterkirchenruine Paulinzella wegen Sanierungsarbeiten nicht zugänglich. Das Museum für Kloster-, Forst- und Jagdgeschichte im Jagdschloss ist von März bis Oktober geöffnet. In der Saison lädt auch ein neuer Multimediaguide zum Entdecken der Anlage ein.

Neue Fenster für Schloss Friedenstein in Gotha

30 von 1.000

AllgemeinBaugeschehen
Wenn sie gut gemacht sind, sieht man kaum einen Unterschied. Und doch sind erneuerte Fenster wichtig für das Denkmal und seine Nutzung. So wie in den vergangenen Monaten am Residenzschloss der Herzöge von Sachsen-Gotha.

Abseits aufwendiger Freilegungen und Sicherungen im Westturm, die das Ausmaß statischer Schäden für jeden greifbar machten, liefen in den vergangenen Monaten auf Schloss Friedenstein in Gotha immer wieder Bauarbeiten, die wenig Aufsehen erregten, aber umso wirkungsvoller sind. Zu ihnen gehört der Einbau von gut 30 neuen Fenstern in drei Bereichen des Schlosses.

Fenstereinbau im Bereich der Kunstkammer im Nordflügel,
Foto: STSG, Sabine Jeschke

30 Fenster von mehr als 1.000 – das klingt erst einmal nach Peanuts. Aber jedes der Fenster ist ein kleines Bauwerk für sich. Bei Maßen von bis zu drei Metern Höhe und einem Gewicht von ungefähr 170 Kilogramm pro Fenster muss der handwerklichen Arbeit eine genaue Planung einschließlich statischer Berechnungen vorausgehen. Denn natürlich handelt es sich nicht um Produkte von der Stange. Alle neuen Fenster folgen einem denkmalpflegerischen Konzept, das bereits auf die notwendige Sanierung der Fassaden vorgreift.

Fensterproduktion in der Tischlerwerkstatt, Foto: STSG, Sibylle Mania

Die Fenster müssen dabei aber nicht nur eine ästhetische Funktion erfüllen und möglichst nah am historischen Original sein, sondern sie müssen auch moderne Anforderung an Wärmedämmung und Sicherheit erfüllen. Der Wunsch nach filigranen Formen und die Notwendigkeit von schwerem sicherndem Glas fordert nicht selten so etwas wie die Quadratur des Kreises. Die kann bekanntlich nicht gelingen – wohl aber eine Lösung, die gestalterische und praktische Anforderungen gut erfüllt.

Einbau neuer Fenster am Spiegelsaal, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Diese Lösung wurde in Musterfenstern umgesetzt, die im Westflügel im ersten und zweiten Obergeschoss zu finden sind. Diese Probefenster sind nun Vorbild für schrittweise Neuanfertigungen, die Anforderungen von Denkmalschutz und Sicherheitskonzept erfüllen. In diesem Jahr waren es der Spiegelsaal im Ostflügel, der Kunstkammerbereich im Nordflügel und das künftige südwestliche Treppenhaus, die mit neuen Fenstern ausgestattet wurden.

Von den schier zahllos erscheinenden Fenstern auf Schloss Friedenstein stammen einige noch aus dem 18. Jahrhundert. Diese werden als besonders rare Schätze natürlich mit größter Sorgfalt erhalten. Die meisten Fenster sind jedoch Nadelholzkonstruktionen aus dem 20. Jahrhundert. Sie haben inzwischen das Ende ihrer Haltbarkeit erreicht. Im Spiegelsaal und der Kunstkammer-Ausstellung in den Erbprinzengemächern war das nun besonders dringlich.

Fenstereinbau am neuen Treppenhaus im Westflügel,
Foto: STSG, Sabine Jeschke

Im äußersten Süden des Westflügels gibt es keine sensiblen Raumkunstwerke zu schützen. Hier ist der Fenstereinbau Teil eines aufwendigen Bauprojekts. Das im Rohbau bereits seit längerer Zeit fertige neue Treppenhaus zur Erschließung von Westflügel und Westturm einschließlich Ekhof-Theater wird derzeit ausgebaut. Zu diesen Arbeiten gehören auch neue Fenster. Sie wurden nun rechtzeitig vor dem Winter eingebaut, nachdem die Sandstein-Fenstergewände sorgfältig restauriert waren.

Franz Nagel

Kamelienblüte in der Herzoglichen Orangerie Gotha

Vorboten des Frühlings hinter Glas

AllgemeinGartenkulturVermittlung
Zum zweiten Mal ist es soweit im neuen Quartier - wenn es draußen noch kalt ist und bis auf ein paar Frühlingsboten in der Natur kaum etwas blüht, verzaubern die fernöstlichen Schönheiten mit ihren prachtvollen exotischen Blüten in der Herzoglichen Orangerie Gotha. Sollen sie in Mitteleuropa überleben und ihre ganze Pracht und Vielfalt zeigen, brauchen sie spezielle Bedingungen.

Die Heimat der Kamelien ist Ostasien. Bereits lange bevor die Pflanzen im 18. Jahrhundert nach Europa kamen, wurden sie in chinesischen und japanischen Ziergärten kultiviert. Am Gothaer Herzogshof hatte man eine besondere Vorliebe für die ostasiatischen Kostbarkeiten. Die Pflanzenhäuser der Herzoglichen Orangerie beherbergten im 19. Jahrhundert eine Sammlung von über 640 Kamelien. Für die Kultivierung der exotischen Pflanzen, die zur Familie der Teestrauchgewächse gehören, wurden unter anderem ein Treibhaus hinter dem Lorbeerhaus sowie ein spezielles Gewächshaus am nördlichen Treibhaus genutzt.

Kamelienblüte in der Herzoglichen Orangerie Gotha, Foto: STSG, Jens Scheffler

Um die Kamelien heute in Gotha unter optimalen Bedingungen zu halten zu können, wurde im April 2022 ein neues Kamelienhaus am historischen Standort errichtet. Das Projekt wurde komplett aus Spenden finanziert. Hier finden nun rund einhundert Kamelien wieder ein Zuhause.

Während der Hauptblütezeit von Anfang März bis Ende April bietet der Förderverein Orangerie-Freunde e.V. gemeinsam mit der Parkverwaltung Führungen an, bei denen die Teilnehmer mehr über die Geschichte dieser ausgefallenen Pflanzen erfahren. Im Anschluss an die Führung können sich die Besucher bei einer Tasse grünen Tee und einem Stück leckeren, selbst gemachten Kuchen auf den beginnenden Frühling freuen.

Jens Scheffler

Die ersten Führungen begannen Anfang. Aus Platzgründen ist die Teilnahme an den Führungen nur mit Voranmeldung möglich. Alle aktuellen Termine und Hinweise zur Anmeldung: www.orangerie-gotha.de

Kloster Paulinzella als Jubliläums-Baukasten

Romanik en miniature

KulturgeschichteVermittlung
Die ehemalige Klosterkirche Paulinzella zählt zu den bedeutendsten romanischen Sakralbauten Mitteldeutschlands. 2024 feiert sie Jubiläum. Ganze 900 Jahre alt wird der Bau, der seit dem 18. Jahrhundert als Ruine gepflegt und bewundert wird. Die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) und ihre Partner in der früheren Klosteranlage, das Thüringer Landesmuseum Heidecksburg und Thüringen Forst, stellen dazu ein umfangreiches Programm auf die Beine. Dazu gesellt hat sich die Ankerstein GmbH Rudolstadt, sie hat die Ruine als Baukasten nachempfunden.

Ankersteine, die kultigen Bausteine aus Sand, Rügener Schlämmkreide und feinem Leinöl der gleichnamigen Manufaktur aus Rudolstadt, haben eine lange Tradition. Von den Fröbelschen Holzklötzen inspiriert, kreierten die Gebrüder Lilienthal sie 1875. Der Unternehmer Friedrich Adolf Richter ließ sich die Rezeptur schließlich patentieren und entwickelte daraus das erste Systemspielzeug der Welt. So neu wie das Spielzeug war, so erfolgreich war es international. Richter wurde bald Hoflieferant verschiedener Königshäuser und expandierte nach Wien, Amsterdam, St. Petersburg und New York. Bis heute folgt man in Rudolstadt der alten Rezeptur und stellt Ankersteine in liebevoller Handarbeit her.

Messbild des Langhauses – Grundlage für die Entstehung des Baukastens
Foto: Pons Asini

Glaube, Forst und Monarchie – die Geschichte von Kloster Paulinzella

Begründerin des Klosters war die sächsische Adelige Paulina. Das religiöse Leben war ihr nicht vorherbestimmt. Erst nach dem Tod ihres zweiten Mannes widmete Paulina sich vollends dem Glauben. Die Witwe zog etwa 1102 mit einem kleinen Frauenkonvent in den Thüringer Wald und gründete dort wenig später das Doppelkloster Marienzelle. Der männliche Teil des Konvents wurde mit Benediktinermönchen aus dem Kloster Hirsau besetzt, wohin sich auch ihr Vater nach dem Tod seiner Frau, Paulinas Mutter, zurückgezogen hatte. Im weiblichen Teil des Stifts lebten unter anderen Adelige aus der Region. 1106 bekam Paulina die päpstliche Genehmigung zur Klostergründung. Noch zu ihren Lebzeiten wurde mit dem Bau der Klosterkirche begonnen. Die Fertigstellung erlebte sie nicht mehr, denn sie starb bereits 1107 nach einem Sturz vom Pferd. Ihre Leiche wurde nach Paulinzella überführt und dort in einer kleinen steinernen Kapelle bestattet, von der es keine Überreste mehr gibt. Einige Jahre später wurden ihre Gebeine in die neu errichtete Klosterkirche umgebettet. Ab diesem Zeitpunkt verdrängte der Name „Paulinzella“ den ursprünglichen Klosternamen Marienzelle.

Bewunderte Ruine

Nach der Reformation wurde das Kloster aufgehoben und gelangte in den Besitz der Grafen von Schwarzburg. Sie machten das Kloster zur Domäne, also zu einem Wirtschaftsbetrieb, richteten ein großes Amtshaus ein und bauten eines der alten Klostergebäude in ein Jagdschloss um. Die übrigen Klostergebäude, vor allem die Kirche, dienten lange Zeit als Steinbruch. Nicht nur im Jagdschloss vor Ort, sondern auch im Schloss Gehren, finden sich Steine der Klosterkirche wieder. Erst Fürst Johann Friedrich von Schwarzburg-Rudolstadt (1721 – 1767) stoppte 1756 den Raubbau am Baukunstwerk. Die Ruine wurde zum Gegenstand romantischer Verehrung des Mittelalters. „Sie ist wahrlich schön und die schönste christliche Ruine von Architektur, die mir je vorgekommen ist. (…) Es fehlt einem (…) wirklich etwas Wesentliches, wenn man sie nicht gesehen hat“, schrieb Wilhelm von Humboldt im September 1810, nachdem er Kloster Paulinzella besucht hatte.

Georg Michael Kraus: Paulinzella, um 1800

Kloster Paulinzella feiert Jubiläum

Die Ruine als Anker-Baukasten für Zuhause ist längst nicht der einzige Beitrag zum Klosterjubiläum 2024. Die drei Partner planen ein abwechslungsreiches Jahresprogramm. Neben Führungen, Kinderangeboten, Aktionstagen, Festen und Märkten wird es Lesungen und Vorträge geben. Dabei bringen Forst, Museum und STSG jeweils ihre Kompetenzen ein. Der Thüringen Forst legt beispielsweise ein Augenmerk auf seine wunderbare Arbeit in der Waldpädagogik, auf den Wald um Paulinzella, auf seine Forstarbeit und aktuelle Herausforderungen bedingt durch Klimawandel, Wasserknappheit und Monokulturen. Hier schließt sich der Kreis zum mittelalterlichen Kloster, dessen Idee, Bauen und wirtschaftliches Handeln – ganz ohne den modernen Begriff zu benutzen – im besten Sinne nachhaltig waren. Daran knüpft übrigens auch der Anker-Bausteinkasten an, dessen Material auf natürlichen Grundstoffen basiert und Generationen überdauern kann.

Maria Porske

Nachhaltigkeit in Geschichte und Gegenwart

Nur geborgt – Nachhaltigkeit und kulturelles Erbe

DenkmalpflegeKulturgeschichteSonderinvestitionsprogramm I
Nachhaltigkeit ist in aller Munde, die Idee hinter dem Wort ist existenziell. Schon mehrfach in der Geschichte rettete der Gedanke menschlichen Lebensunterhalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Idee ist jahrtausendealt, ihre Umsetzung mindestens Jahrhunderte – zunächst aus rein wirtschaftlichen Erwägungen. Wenn Ressourcen zu versiegen drohten, wuchs der Handlungsdruck. Die Gegenmaßnahmen taten ganz nebenbei oft auch der Natur gut.

Akut wurde die Ressourcenfrage in Europa in der Frühen Neuzeit. Im 17. Jahrhundert begannen die Wälder zu schrumpfen, das für die rasant wachsende vorindustrielle Wirtschaft grundlegende Baumaterial und Verbrauchsgut Holz wurde zusehends knapp. Die Sicherung von Holzressourcen für künftige Generationen war auch in Thüringen immer wieder bestimmendes Thema. Im 18. Jahrhundert reagierte Herzogin Anna Amalia mit einer Reform. In ihrem Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach veranlasste sie eine gründliche Inventur der Wälder und eine nachhaltige, auf viele Jahrzehnte vorausschauende Planung von Holzeinschlag und Aufforstung. Nicht mehr nur an die Einnahmen des nächsten Jahres oder in der eigenen Lebenszeit zu denken, sondern an die Lebensgrundlagen späterer Generationen, war eine rationale Entscheidung für das Prinzip der Nachhaltigkeit.

Als Anna Amalia 1775 die Regierungsgeschäfte an ihren nun volljährigen Sohn Carl August übergab, holte der junge Herzog den Dichter Johann Wolfgang Goethe nach Weimar und betraute ihn in ministerieller Verantwortung unter anderem mit dem, was wir heute Ressourcenmanagement nennen würden. Zu den Aufgaben Goethes gehörte ab 1789 auch die Leitung der Kommission, die den Wiederaufbau des Weimarer Residenzschlosses zu organisieren hatte. Das Schloss, erst im 17. Jahrhundert nach einem Brand neu errichtet, war 1774 wiederum abgebrannt und hatte für 15 Jahre als Ruine gestanden. Der Wiederaufbau, vor allem im Inneren, folgte den aktuellen Formideen des Klassizismus. Ein Teil des Schlosses allerdings hatte diesen und schon den vorherigen Brand überstanden und wurde wie damals aus der Modernisierung ausgeklammert: Das Torhaus aus dem 16. Jahrhundert mit dem benachbarten mittelalterlichen Schlossturm und dessen barocke Haube blieben an der Südwestecke der regelmäßigen Anlage stehen und waren den in Symmetriebeziehungen denkenden Architekten sicher ein Dorn im Auge. Doch das Bastille genannte Ensemble zeugte vom Alter der Dynastie und ihrem Einfluss bis zur Reformationszeit, es barg die Erinnerung an die verlorene Kurfürstenwürde und beherbergte traditionell die wichtigsten Regierungsgremien – für die herzogliche Familie und die Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs also ein höchst symbolträchtiges Bauwerk.

Damit stand das Weimarer Schloss nicht allein. Auch die benachbarten Herzöge und Fürsten auf dem Gebiet des heutigen Thüringen setzten auf Sichtbarkeit des Alters und der gewachsenen Baustrukturen. Veränderten Anforderungen begegneten sie in den meisten Fällen nicht mit Abriss und Neubau, sondern mit dem Weiterbauen im Bestand. Zwar stand dabei nicht explizit das Konzept der Nachhaltigkeit Pate, das Handeln kann aber aus diesem Blickwinkel betrachtet werden – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Das Ergänzen und Umbauen begrenzte zunächst den Aufwand auf das Notwendige und ließ das noch Brauchbare bestehen. Das erlaubte einen sparsameren Umgang mit den Finanzen, den Materialien und den Arbeitskräften. Zugleich vermittelten asymmetrische Bauten wie die Residenzschlösser Altenburg und Sondershausen mühelos eine jahrhundertelange Geschichte, und dieser Effekt strahlt auf die dort residierenden Familien ab. Neben Ressourcenschonung bringt die unter Thüringer Dynastien besonders ausgeprägte Strategie des sparsamen Weiterbauens also auch ideelles Kapital. Ob finanzielle Not oder bewusste Entscheidungen zu diesen Strategien führten – sicher ist, dass man sie mit Selbstbewusstsein vertreten konnte.

Solche gewachsenen Denkmale der Nachhaltigkeit können heute als Vorbilder dienen, bergen aber auch Schwierigkeiten. Sie zu erhalten, ist oft eine Aufgabe mit vielen unbekannten Faktoren. Veränderungen waren nicht selten mit konstruktiven Kompromissen verbunden. Es fehlte meist an genauen Kenntnissen, was man den vorhandenen Wänden und Decken zumuten konnte. Überlastungen und über die Zeiten hinweg eingeschlichene Fehler in der Konstruktion sind deshalb eher die Regel als die Ausnahme in historisch gewachsenen Bauten. Dem begegnen spezialisierte Architekten und Ingenieure heute mit viel Fingerspitzengefühl und gründlichen Untersuchungen – so wie derzeit an 13 Thüringer Kulturdenkmalen im Sonderinvestitionsprogramm I der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mit einem Volumen von 200 Millionen Euro, jeweils zur Hälfte gefördert von Bund und Land.

Dabei werden viele Bauten erstmals als Gesamtheit in den Blick genommen. Statische Strukturen werden ermittelt und die Ableitung von Lasten bis tief in den Baugrund hinein nachvollzogen. Auf der Grundlage solchen Wissens können die Eingriffe auf das Notwendige begrenzt werden. Hölzer werden möglichst nur verstärkt statt ersetzt, Mauerwerk wird stabilisiert, damit es seine Funktion weiter ausüben kann. Denn Priorität hat der Erhalt der Substanz – als konstitutiver Bestandteil des Denkmals und als historisches Beispiel.

Mit der Notwendigkeit nachhaltigen Bauens hat das Weiterbauen im Bestand auch außerhalb des Denkmalbereichs wieder an Bedeutung gewonnen. Als modernes Konzept steht das Weiterbauen für Ressourcenschonung und für das Weiterentwickeln vorgefundener Bautechnologien. Wie an den Baugeschichten gewachsener Schlösser ablesbar, können Materialien oder Bauteile weiter- und wiederverwendet werden. Aber auch beim Neubau kommen historische Arbeitsweisen wieder verstärkt zum Einsatz oder dienen als Anregung.

Ressourcen sparsam einzusetzen und negative Folgen wie schwer zu bewältigende Abfälle zu vermeiden, gehört zu den Grundideen nachhaltigen Handelns. Entscheidend ist das Bewusstsein der Verantwortung gegenüber späteren Generationen. Manchmal hilft dabei ein Blick in die Geschichte mit dem Wissen um die Möglichkeiten der Gegenwart.

Franz Nagel

Badezimmer im Westflügel wird eingelagert

Verborgener Sanitärkomfort

BaugeschehenDenkmalpflegeKulturgeschichte
Vor ungefähr 130 Jahren zog moderner Komfort auf Schloss Friedenstein ein. Wichtigste Veränderung für die Schlossbewohner war wohl der Einbau von Badezimmern. Eines davon, das einzige erhaltene im zweiten Obergeschoss des Westflügels, hat nun sein verborgenes Separée zwischen Weimargalerie und klassizistischen Prunkräumen verlassen – aber nur, um geschont zu werden und später wieder an seinen Platz zurückkehren zu können.

Badezimmer mit Holzvertäfelungen, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Weichen musste die hölzerne Badausstattung, um den Blick auf die Baukonstruktion freizugeben. Hinter den Wänden und vor allem unter dem Boden vermuten die Fachleute Schäden durch Nässe. Denn auch wenn 1896 die modernste Technologie zum Einsatz kam, wird das kaum Auswirkungen von Wasser und Dampf auf Decken und Wände verhindert haben. Die Untersuchungen bereiten Sanierungsarbeiten im Westflügel vor, die im Rahmen des von Bund und Land finanzierten 110-Millionen-Euro-Budgets durchgeführt werden sollen.

Türen zu Dusche und WC, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Das Badezimmer wurde damals mit bemalten Holzvertäfelungen und im oberen Bereich mit einer Linkrusta-Tapete – einer auf Leinen basierenden Prägetapete – ausgekleidet. Vom Waschraum trennte man eine Duschkabine und ein WC ab. Über der Duschkabine gab es einen Wasserkasten, der für den nötigen Wasserdruck sorgte. Erhalten sind nicht nur die Trennwände und Wandvertäfelungen, sondern beispielsweise auch der große Zinkbleck-Duschkopf, die Wasserregler und das Duschbecken, eine flache hölzerne Wanne mit Bleiauskleidung. Die ursprünglich vorhandene Badewanne ging im 20. Jahrhundert verloren, als das historische Bad mit Kunststoffplatten und neuer Sanitärkeramik für die Nutzung durch das Museumspersonal modernisiert wurde.

Duschkopf aus Zinkblech, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Der Einbau des Badezimmers 1896 stand im Zusammenhang mit Umbauarbeiten, die vor allem dem Wohnkomfort und einer Modernisierung von ausgewählten Bereichen im Schloss dienten. Aus dieser Zeit stammt beispielsweise auch die Gestaltung der Herzogstreppe im Ostflügel, heute der Hauptzugang zum Schlossmuseum. Das erhaltene Bad ist das einzige erhaltene von mehreren damals eingebauten Räumen dieser Art im Westflügel.

Franz Nagel

Welterbe-Vorhaben „Thüringische Residenzenlandschaft“

Neun Residenzen, ein Kulturerbe

KulturgeschichteVermittlung
Ganz Deutschland hatte kurz nach 1800 das Heilige Römische Reich deutscher Nation hinter sich gelassen. Ganz Deutschland? Nein – in einem überschaubaren Landstrich im Zentrum des 1806 aufgelösten Reichs blieben zumindest dessen kleinteilige Strukturen erhalten. Auf dem Gebiet des heutigen Thüringens existierten noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch und bis zur Revolution 1918 eine Reihe von Kleinstaaten, zum Teil kleiner als heutige Landkreise. Regiert wurden sie von Teillinien der Häuser Wettin, Schwarzburg und Reuß. Die neun Kleinstaaten waren bereits das Ergebnis einer Konsolidierung. Um 1700, als die Erbteilungen ihren Höhepunkt erreicht hatten, existierten hier für kurze Zeit rund 20 Einzelherrschaften gleichzeitig. Jeder der kleinen Staaten verfügte über eine Residenz und eine Infrastruktur für Hofhaltung und Landesverwaltung.

Als in den meisten anderen Teilen Deutschlands im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen kleine Territorien aufgelöst und zu größeren Staatsgebilden zusammengeführt wurden, konnten die Thüringer Fürsten erfolgreich ihre Eigenständigkeit zumindest in Form einer Teilsouveränität bewahren. Mit ihnen blieben auch die Bauten erhalten, in denen residiert und regiert wurde. Thüringen verfügt deshalb über neun Residenzen in acht Residenzstädten, die seit der Frühen Neuzeit bis 1918 fast vollständig durchgängig als Regierungssitze dienten.

Oberes Schloss Greiz, Foto: TSK, Jacob Schröter

Den Zeitgenossen entging die zuweilen kuriose Kleinteiligkeit nicht. Nicht selten war sie auch Gegenstand von Spott und Infragestellung. Umso wichtiger war für die Fürsten eine sichtbare Legitimation. Dazu leisteten die Residenzschlösser selbst einen wichtigen Beitrag. Sie wurden über Jahrhunderte ausgebaut, verändert und ergänzt. Oft blieb Altes dabei erhalten – manchmal aus Gründen der Sparsamkeit, oft aber wohl auch im Bewusstsein des sozialen Kapitals, den das Alter eines sichtbaren Bauteils bedeutete.

Residenzschloss Altenburg

Das erkennbare Alter der Gebäude und ihres Gewachsenseins über Jahrhunderte zahlte sich aus, zeigte es doch die lange Herrschaftstradition der dort regierenden Dynastie. Dieser Wert wurde auch über das 19. Jahrhundert getragen und oft durch historisierende Bauprojekte noch verstärkt. Bis heute ist deshalb an den Residenzschlössern in Thüringen die Geschichte ablesbar. In einer solchen Dichte, engen Vernetzung und gegenseitigen Beeinflussung wie in Thüringen ist die aus dem Heiligen Römischen Reich erhaltene Residenzenlandschaft nirgendwo sonst baulich integer und in eindrucksvoller Originalität überliefert.

Schloss Friedenstein Gotha

Das Land Thüringen hat deshalb bei der Kultusministerkonferenz beantragt, die Thüringische Residenzenlandschaft in die nächste deutsche Vorschlagsliste des UNESCO-Welterbes aufzunehmen. Den Antrag dafür hat die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mit einem eigens eingerichteten Welterbe-Kompetenzzentrum erarbeitet. Noch 2023 wird die Entscheidung der Kultusministerkonferenz über die nächste deutsche Kandidatenliste erwartet. Wird der Vorschlag aufgegriffen, kann der Antrag für das UNSECO-Welterbekomitee erarbeitet werden, ein umfangreiches wissenschaftliches und gesellschaftliches Unterfangen.

Franz Nagel

Diese neun Residenzen in acht Residenzstädten sind Teil des Antrags:

  • Residenzschloss Altenburg
  • Residenzschloss Sondershausen
  • Residenzschloss Heidecksburg Rudolstadt
  • Residenzschloss Weimar
  • Residenzschloss Elisabethenburg Meiningen
  • Residenzschloss Friedenstein Gotha
  • Residenzschloss Ehrenburg Coburg
  • Residenz Oberes Schloss Greiz
  • Unteres Schloss Greiz

Nachtrag

Das kulturelle Erbe „Thüringische Residenzenlandschaft“ ist nicht Bestandteil der neuen deutschen Vorschlagsliste für das UNESCO-Welterbe. Darüber hat am 4. Dezember 2023 die Kultusministerkonferenz der Länder entschieden. Die sogenannte Tentativliste dient in den nächsten Jahren als Grundlage für Vorschläge der Bundesrepublik an das UNESCO-Welterbe-Komitee mit Sitz in Paris. Thüringen hatte sich mit neun Residenzen in acht Residenzstädten dafür beworben, darunter auch eine bayerische Stadt. Das Land und die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) sehen dennoch weiter großes Potential in dem Vorhaben und möchten es weiter verfolgen.

Land und STSG prüfen nun gemeinsam den weiteren Weg für das Welt-erbe-Vorhaben „Thüringische Residenzenlandschaft“. Eine Weiterbe-arbeitung für die Vorlage in der nächsten Kandidatenrunde steht dabei im Vordergrund. Im zurückliegenden Erarbeitungsprozess haben sich zahlreiche Aspekte ergeben, die durch notwendige Forschungen fruchtbar gemacht werden können. Parallel wird aber auch die Bewer-bung um das Europäische Kultursiegel erwogen, dessen Grundidee übergreifende Netzwerke in den Mittelpunkt rückt. Beide Wege können sich ergänzen. Zudem soll das Potential des kulturellen Erbes für außer-schulische und schulische Bildung stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Bildung und gesellschaftliche Partizipation spielen im Zusam-menhang mit dem UNESCO-Welterbe als Aspekt nachhaltigen Umgangs mit Kulturdenkmalen inzwischen eine zentrale Rolle.