Nachhaltigkeit in Geschichte und Gegenwart

Nur geborgt – Nachhaltigkeit und kulturelles Erbe

DenkmalpflegeKulturgeschichteSonderinvestitionsprogramm I
Nachhaltigkeit ist in aller Munde, die Idee hinter dem Wort ist existenziell. Schon mehrfach in der Geschichte rettete der Gedanke menschlichen Lebensunterhalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Idee ist jahrtausendealt, ihre Umsetzung mindestens Jahrhunderte – zunächst aus rein wirtschaftlichen Erwägungen. Wenn Ressourcen zu versiegen drohten, wuchs der Handlungsdruck. Die Gegenmaßnahmen taten ganz nebenbei oft auch der Natur gut.

Akut wurde die Ressourcenfrage in Europa in der Frühen Neuzeit. Im 17. Jahrhundert begannen die Wälder zu schrumpfen, das für die rasant wachsende vorindustrielle Wirtschaft grundlegende Baumaterial und Verbrauchsgut Holz wurde zusehends knapp. Die Sicherung von Holzressourcen für künftige Generationen war auch in Thüringen immer wieder bestimmendes Thema. Im 18. Jahrhundert reagierte Herzogin Anna Amalia mit einer Reform. In ihrem Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach veranlasste sie eine gründliche Inventur der Wälder und eine nachhaltige, auf viele Jahrzehnte vorausschauende Planung von Holzeinschlag und Aufforstung. Nicht mehr nur an die Einnahmen des nächsten Jahres oder in der eigenen Lebenszeit zu denken, sondern an die Lebensgrundlagen späterer Generationen, war eine rationale Entscheidung für das Prinzip der Nachhaltigkeit.

Als Anna Amalia 1775 die Regierungsgeschäfte an ihren nun volljährigen Sohn Carl August übergab, holte der junge Herzog den Dichter Johann Wolfgang Goethe nach Weimar und betraute ihn in ministerieller Verantwortung unter anderem mit dem, was wir heute Ressourcenmanagement nennen würden. Zu den Aufgaben Goethes gehörte ab 1789 auch die Leitung der Kommission, die den Wiederaufbau des Weimarer Residenzschlosses zu organisieren hatte. Das Schloss, erst im 17. Jahrhundert nach einem Brand neu errichtet, war 1774 wiederum abgebrannt und hatte für 15 Jahre als Ruine gestanden. Der Wiederaufbau, vor allem im Inneren, folgte den aktuellen Formideen des Klassizismus. Ein Teil des Schlosses allerdings hatte diesen und schon den vorherigen Brand überstanden und wurde wie damals aus der Modernisierung ausgeklammert: Das Torhaus aus dem 16. Jahrhundert mit dem benachbarten mittelalterlichen Schlossturm und dessen barocke Haube blieben an der Südwestecke der regelmäßigen Anlage stehen und waren den in Symmetriebeziehungen denkenden Architekten sicher ein Dorn im Auge. Doch das Bastille genannte Ensemble zeugte vom Alter der Dynastie und ihrem Einfluss bis zur Reformationszeit, es barg die Erinnerung an die verlorene Kurfürstenwürde und beherbergte traditionell die wichtigsten Regierungsgremien – für die herzogliche Familie und die Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs also ein höchst symbolträchtiges Bauwerk.

Damit stand das Weimarer Schloss nicht allein. Auch die benachbarten Herzöge und Fürsten auf dem Gebiet des heutigen Thüringen setzten auf Sichtbarkeit des Alters und der gewachsenen Baustrukturen. Veränderten Anforderungen begegneten sie in den meisten Fällen nicht mit Abriss und Neubau, sondern mit dem Weiterbauen im Bestand. Zwar stand dabei nicht explizit das Konzept der Nachhaltigkeit Pate, das Handeln kann aber aus diesem Blickwinkel betrachtet werden – und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Das Ergänzen und Umbauen begrenzte zunächst den Aufwand auf das Notwendige und ließ das noch Brauchbare bestehen. Das erlaubte einen sparsameren Umgang mit den Finanzen, den Materialien und den Arbeitskräften. Zugleich vermittelten asymmetrische Bauten wie die Residenzschlösser Altenburg und Sondershausen mühelos eine jahrhundertelange Geschichte, und dieser Effekt strahlt auf die dort residierenden Familien ab. Neben Ressourcenschonung bringt die unter Thüringer Dynastien besonders ausgeprägte Strategie des sparsamen Weiterbauens also auch ideelles Kapital. Ob finanzielle Not oder bewusste Entscheidungen zu diesen Strategien führten – sicher ist, dass man sie mit Selbstbewusstsein vertreten konnte.

Solche gewachsenen Denkmale der Nachhaltigkeit können heute als Vorbilder dienen, bergen aber auch Schwierigkeiten. Sie zu erhalten, ist oft eine Aufgabe mit vielen unbekannten Faktoren. Veränderungen waren nicht selten mit konstruktiven Kompromissen verbunden. Es fehlte meist an genauen Kenntnissen, was man den vorhandenen Wänden und Decken zumuten konnte. Überlastungen und über die Zeiten hinweg eingeschlichene Fehler in der Konstruktion sind deshalb eher die Regel als die Ausnahme in historisch gewachsenen Bauten. Dem begegnen spezialisierte Architekten und Ingenieure heute mit viel Fingerspitzengefühl und gründlichen Untersuchungen – so wie derzeit an 13 Thüringer Kulturdenkmalen im Sonderinvestitionsprogramm I der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mit einem Volumen von 200 Millionen Euro, jeweils zur Hälfte gefördert von Bund und Land.

Dabei werden viele Bauten erstmals als Gesamtheit in den Blick genommen. Statische Strukturen werden ermittelt und die Ableitung von Lasten bis tief in den Baugrund hinein nachvollzogen. Auf der Grundlage solchen Wissens können die Eingriffe auf das Notwendige begrenzt werden. Hölzer werden möglichst nur verstärkt statt ersetzt, Mauerwerk wird stabilisiert, damit es seine Funktion weiter ausüben kann. Denn Priorität hat der Erhalt der Substanz – als konstitutiver Bestandteil des Denkmals und als historisches Beispiel.

Mit der Notwendigkeit nachhaltigen Bauens hat das Weiterbauen im Bestand auch außerhalb des Denkmalbereichs wieder an Bedeutung gewonnen. Als modernes Konzept steht das Weiterbauen für Ressourcenschonung und für das Weiterentwickeln vorgefundener Bautechnologien. Wie an den Baugeschichten gewachsener Schlösser ablesbar, können Materialien oder Bauteile weiter- und wiederverwendet werden. Aber auch beim Neubau kommen historische Arbeitsweisen wieder verstärkt zum Einsatz oder dienen als Anregung.

Ressourcen sparsam einzusetzen und negative Folgen wie schwer zu bewältigende Abfälle zu vermeiden, gehört zu den Grundideen nachhaltigen Handelns. Entscheidend ist das Bewusstsein der Verantwortung gegenüber späteren Generationen. Manchmal hilft dabei ein Blick in die Geschichte mit dem Wissen um die Möglichkeiten der Gegenwart.

Franz Nagel


Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns.


Verwandte Artikel