Tag des offenen Denkmals 2025

Kurios, goldig und sagenhaft

AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflegeKulturgeschichteVermittlung
Jeden zweiten Sonntag im September ist Tag des offenen Denkmals. Auch in Thüringens Schlössern und Burgen gibt es 2025 zum Aktionstag einige sonst verborgene Winkel und Geschichten zu entdecken und zu hören – von kreativen Schlossherren, märchenhaften Hausgästen, klangvollen Kellern, frostempfindlichen Exoten und rohen Barockschönheiten.

Kurios und innovativ zugleich geht es in Kloster und Schloss Mildenfurth zu. Matthes von Wallenrod ließ hier vor rund 500 Jahren ein Prämonstratenserkloster zum Schloss umbauen. Im Zuge der Reformation aufgelöst, wurde die romanische Klosterkirche in Teilen abgetragen und die Vierung zum Schloss mit aufgesetzten Türmen und Renaissancegiebeln ausgebaut. Ein Teil des Bauschmucks des Sakralbaus blieb beim Umbau in den neu eingezogenen Geschossen erhalten, so ragt noch so mancher Säulenschaft und imposantes Kapitell aus der Wand heraus. Zum Denkmaltag 2025 werden von 10 bis 16 Uhr halbstündlich Führungen angeboten.

Kloster Mildenfurth, Foto STSG, Constantin Beyer

Die Veste Heldburg wiederum wartet nicht nur mit Türmchen, Zinnen und märchenhafter Silhouette auf. Auch Fränkische Leuchte genannt, war die Veste einst wichtiger Grenzposten, von dem aus Feuersignale als Warnzeichen gesendet werden konnten. Im 19. Jahrhundert wandelte sich die Veste unter Herzog Georg II. endgültig zum romantischen Bergschloss. Aber nicht nur über Tage, auch unter der Veste gibt es klangvolle Geschichte zu entdecken. Zum Denkmaltag 2025 öffnen sich um 13 Uhr die Kellertüren der Veste Heldburg zur Führung. Neben den Resten einer mittelalterlichen Badestube findet sich hier auch eine Musikantenkammer. 

Veste Heldburg, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Ebenfalls märchenhaft geht es gerade in einem Geheimtipp in der Weimarer Innenstadt zu, dem Kirms-Krackow-Haus. Im Garten und Wohnhaus der Brüder Kirms kam im 19. Jahrhundert das Who-is-Who der Weimarer Gesellschaft zusammen. Neben Goethe war auch der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen zu Gast. Bei einer Sonderführung durch das Haus gibt es so manchen Winkel zu entdecken, den die Museumsgäste sonst nicht zu sehen bekommen. Tickets sind an der Museumskasse oder in der Tourist-Information Weimar zu ergattern.

Blick in den Hof des Kirms-Krackow-Hauses in Weimar,
Foto STSG, Constantin Beyer

Goldig wird es wiederum auf Schloss Sondershausen. Das Residenzschloss der Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen prunkt in den Alten Flügeln mit feinem Stuck auf. Während im Blauen Saal die Putti von der Decke lächeln und im Riesensaal die Götter wachen, ist an anderer Stelle im Schloss der Deckenstuck jedoch notgesichert. Im Sonderinvestitionsprogramm I stehen Sanierungsmaßnahmen in den Alten Flügeln an. Wenn es dabei auch in erster Linie um statische Sicherungen geht, spielt auch der Erhalt von Stuck und wertvollen Wandgestaltungen eine Rolle. Im Schlosshof wird es deshalb zum Denkmaltag 2025 praktisch. Große und kleine Besucherinnen und Besucher können hier im Rahmen eines Workshops um 10 Uhr, 11.30 Uhr und 13.30 Uhr das Vergolden von Stuck und das Arbeiten mit der Musterrolle erproben.

Im Jägerhaus von Schloss Sondershausen ein paar Meter weiter geht es wiederum auf Fährtensuche. Im 18. Jahrhundert errichtet, gaben sich hier einst Gärtner und das fürstliche Jagdpersonal die Klinke in die Hand. Zum Denkmaltag kann auf die Jagd nach den Verlustursachen im maroden Gebäude gegangen werden, das ebenfalls im Sonderinvestitionsprogramm I bald saniert wird. Infoschilder geben Auskunft zu den Bauschäden.

Schloss Sondershausen,
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Besondere Einblicke hinter sonst verschlossene Türen kann man auch in der Herzoglichen Orangerie Gotha erhaschen. Hier wird bis heute ein besonderer Schatz der ehemaligen herzoglichen Sammlungen von Schloss Friedenstein umsorgt, hunderte Lorbeer- und Zitruspflanzen. Wertvolle exotische Pflanzensammlungen spielten an den Höfen eine besondere Rolle, ihre aufwendige Pflege machte sie zu einem besonders wertvollen Gut. Auch Kamelien und Ananas sind heute wieder in der Gothaer Orangerie zu finden. Im Winter boten die Pflanzenhäuser der Orangerie den grünen Schätzen frostsicheres Winterquartier. Zum Denkmaltag sind die Pflanzenhäuser von 11 bis 17 Uhr geöffnet.

Herzogliche Orangerie Gotha, Foto STSG, Jens Scheffler

Die Ruine der Klosterkirche Paulinzella wurde im 19. Jahrhundert zum wertvollen Sehnsuchtsort. Vor rund 900 Jahren mit Hilfe von Mönchen aus dem Reformkloster Hirsau erbaut, lässt die Kirche noch heute deren Einflüsse erkennen. Zum Denkmaltag geht es um 14 Uhr und 15 Uhr auf Rundgang durch die Klostergeschichte, dabei wird es auch sagenhaft, denn nicht wenige Geschichten ranken sich um die Klosterkirche, einen der bedeutendsten hochmittelalterlichen Sakralbauten Mitteldeutschlands.

Klosterkirche Paulinzella, Foto STSG, Tino Trautmann

Besondere Klostergeschichte steht auch in Göllingen im Mittelpunkt zum Denkmaltag 2025. Das ehemalige Benediktinerkloster wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Konservenfabrik umgebaut. Um 11 Uhr und 14.30 Uhr geht es auf Rundgang durch 1000 Jahre unbezahlbare Klostergeschichte. Dabei wird es auch persönlich, eine Zeitzeugin berichtet aus ihren Erinnerungen vom Wandel der Anlage zur Konservenfabrik und dem bürgerschaftlichen Engagement zum Erhalt der Klosteranlage. Natürlich wird auch ein Blick in die neue Dauerausstellung in der ehemaligen Lagerhalle für die Edelkonserven geworfen.

Kloster Göllingen, Foto STSG, Philipp Hort

Um Ritter, Burggeschichte und eine besondere barocke Schönheit dreht es sich zum Denkmaltag 2025 auf der Wasserburg Kapellendorf. Um 12 Uhr und 14 Uhr wird zur Geschichte der Burganlage geführt. Um 16 Uhr steht der Prinzessinnenbau im Rahmen einer Führung im Mittelpunkt. Eigentlich als Witwensitz für Herzogin Eleonore Wilhelmine von Sachsen-Weimar errichtet, blieb das Gebäude im Barock nach dem Tod der Bauherrin als Rohbau zurück. Auch der Bauschmuck an der Fassade blieb unfertig behauen. Im Sonderinvestitionsprogramm I wird der Prinzessinnenbau saniert, die Führung gibt Einblicke in die geplanten Maßnahmen.

Prinzessinnenbau der Wasserburg Kapellendorf,
Foto: STSG, Alica Bergmann

Auch auf Schloss Heidecksburg, Schloss Schwarzburg, den Dornburger Schlössern, dem Oberschloss Kranichfeld, der Burg Weißensee, im Schlosspark Molsdorf und an vielen Orten mehr gibt es passend zum diesjährigen Denkmalstags-Motto „Wert-voll“ unbezahlbares zu entdecken. Das ganze Programm der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten zum Tag des offenen Denkmals gibt es hier zum erstöbern.

Graf von Gotter und sein Schloss Molsdorf

Ein Parvenue aus Gotha

AllgemeinGartenkulturKulturgeschichte
Gustav Adolf Graf von Gotter gilt als Lebemann und Parvenue. Ihm haben wir Schloss Molsdorf bei Erfurt zu verdanken. Ein Blick auf Gotter und sein Barockschloss.

Wer bei Gotter zu Tisch gebeten wurde, aß unter den Augen von Königen und Prinzen von Preußen, von Prinz Eugen von Savoyen, von Herzögen von Württemberg und Sachsen-Gotha, von Grafen und Fürsten. Ihre Porträts sind dicht an dicht in die Wandvertäfelung des Speisesaals von Schloss Molsdorf eingelassen. Es ist aber kein plumpes Namedropping, mit dem der Hausherr seine Gäste beeindrucken wollte, hinter jedem Bild steckt eine persönliche Beziehung.

Der 1692 geborene Gustav Adolf Graf von Gotter stammte aus bürgerlichem Haus in Gotha. Das Adelsprädikat des Reichsgrafen gehörte zu den letzten Stufen auf der Karriereleiter, die der Jurist nach seinem Studium zügig erklomm. Zunächst trat Gotter in den Dienst des Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg, dessen Interessen er in verschiedenen Funktionen am kaiserlichen Hof des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation in Wien vertrat.

Mit der Erhebung in den Reichsfreiherrenstand eröffnete sich ihm schnell eine andere Liga. Gotter zeigte sich hilfreich für Preußen und wurde bald auch von dort bestallt. Geheimer Staatsrat, Minister, Generaldirektor der preußischen Oper und schließlich Generalpostmeister sind nur einige der Ämter, die er in Preußen im Lauf der Jahre zum Teil parallel bekleidete. Mit der Aufnahme in den Reichsgrafenstand 1740 war der Aufstieg perfekt.
 

Schloss Molsdorf bei Erfurt, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Dass nicht immer alles so reibungslos verlief, wie es die Ämterkarriere glauben machen könnte, zeigt Gotters Versuch, dem sozialen Erfolg entsprechend sesshaft zu werden. Anders als geborene Adelige verfügte Gotter nicht über einen dynastischen Stammsitz, der würdiges Alter und standesgemäße Pracht ausstrahlte. Zwar zahlten der preußische König Friedrich II. und die herzoglichen Auftraggeber gut, die Möglichkeit zum Erwerb eines Schlosses eröffneten aber erst zwei Lottogewinne.

1734 kaufte Gotter Schloss Molsdorf südlich von Erfurt aus dem Eigentum des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg. Schnell begann er mit dem Um- und Ausbau der früheren und schon durch einige gestaltende Hände gegangenen Wasserburg. Es sollte ein barockes Landschloss entstehen, dazu ein großer Garten nach französischem Muster. Jedoch war Gotter immer wieder knapp bei Kasse, nebenher forderte auch der aufwendige Lebenswandel seinen Tribut.

Neuer Schwung kam nach der Verleihung des Reichsgrafentitels in das Projekt. Die Notwendigkeit der Repräsentation wurde damit dringlicher. Als Garant dafür bot sich ein Baumeister an, der an den Höfen der Umgebung als Virtuose der aktuellen Bau- und Ausstattungskunst herumgereicht wurde – der Rokoko-Regionalmatador Gottfried Heinrich Krohne. Er tilgte den bis dahin erhaltenen Turm, der noch an die frühere Wasserburg erinnerte, und schuf eine Gartenfassade, die schmuck- und anspielungsreich auf die Antike und den Stand des Hausherrn bezugnahm. Im Mittelpunkt stehen die Göttin Flora und der Adler als gräfliches Statussymbol im Reichsgefüge.

Marmorsaal im Schloss Molsdorf, Foto: STSG, Constantin Beyer

 
Im Inneren des Schlosses entstand eine Raumfolge, die bewusst an die Ausstattung fürstlicher Schlösser anknüpfte. Der Marmorsaal beispielsweise entspricht in seiner Funktion dem Hauptsaal eines Schlosses. Dort präsentierte sich Gotter inmitten des teuren Stuckmarmors, vielleicht mit einem Augenzwinkern, im Porträt als lebensfroher Jäger, dem Lord Waldegrave gegenübersteht, der ihn zum Lottospiel animiert und vielleicht auch zu der auffälligen Glückssträhne von zwei Gewinnen verholfen hatte.

Supraportengemälde mit den Schlössern Molsdorf, Schwarzburg und Stedten deuten assoziativ auf die bei Dynastien übliche terrioriale Anspruchsdarstellung hin und schaffen so den fiktionalen Anklang an eine Residenz. An den Saal schließen sich Kabinette und ein Salon an – und der von zahllosen Porträts gezierte Bankettsaal. Immer wieder taucht das Motiv des Adlers auf, mit dem Gotter auf etwas verwies, auf das er besonders stolz sein konnte. 1731 hatte Friedrich der Große ihm den Schwarzen Adlerorden verliehen, den höchsten Orden des preußischen Königshauses.

Bankettsaal im Schloss Molsdorf, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Ähnlich wirksam wie der Adler ist allerdings Gotters Motto zu finden: „Vive la Joie“ – Es lebe die Freude. Dass damit – anders als oft vermutet – nicht die Aufforderung zum zügellosen Leben gemeint ist, zeigen viele andere bildliche und verbale Zitate im Schloss, an seinen Fassaden und im Garten. Wer diesen unzähligen intellektuellen Anspielungen folgt, findet sich in der antiken Gedankenwelt des Philosophen Epikur und des Dichters Horaz wieder. Ihnen kam es auf maßvolle Sorgenfreiheit statt auf die Maximierung von Genuss an. Ob Gotter darin einen Spiegel seines Lebens oder eine Mahnung an sich selbst sah? Zu beiden Annahmen gibt das schillernde Leben des Bürgersohns Anlass, der sich auf dem ständischen Parkett des Reichs behauptete. Sicher ist jedoch, dass er 14 Jahre vor seinem Tod das Schloss aus Liquiditätsgründen wieder verkaufen musste.

Franz Nagel

Lesetipp: Schloss und Garten Molsdorf. Graf Gotters Residenz der Aufklärung, Große Kunstführer der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Band 4, Regensburg 2012.

Zeugnisse höfischer Theaterkultur in Thüringen

Bretter, die den Anfang machten

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichteVermittlung
Zu den kulturellen Pfunden Thüringens zählt die staunenswert hohe Dichte an Theatern und Orchestern. Sie sind Teil eines historischen Erbes, das Thüringen gegenüber anderen Regionen einzigartig macht. Die bis heute gepflegte Theaterkultur selbst in Städten, denen man ihrer Größe nach eigentlich kein Theater zutrauen würde, hat ihre Ursprünge in der Kultur der Residenzen – und davon gab es im vergleichsweise kleinen Thüringen so viele so dicht beieinander wie nirgendwo sonst.

Am Höhepunkt der Kleinstaaterei um 1700 regierten in Thüringen bis zu 30 Linien der Ernestiner, Reußen und Schwarzburger gleichzeitig, sie alle hatten ihre Residenzen. Für viele von ihnen gehörte dazu zumindest ein provisorisches Theater. Während im übrigen Deutschland nach 1806 die zahllosen Kleinstaaten zu größeren Territorien zusammengefasst wurden, blieb in Thüringen das Nebeneinander kleiner recht eigenständiger Staaten erhalten. Am Ende der Monarchie 1918 gab es immerhin noch neun davon, jeweils mit eigener Residenzstadt samt inzwischen fest etabliertem Theater. Daneben waren Theater höfischen Ursprungs aber auch in vorher nur zeitweise als Residenz genutzten Städten aktiv geblieben.

Foto, STSG, Constantin Beyer

Im Lauf des 19. Jahrhunderts hatten sich die Theater zunehmend aus dem unmittelbaren Zusammenhang der Höfe gelöst und waren bürgerlich geprägte Bildungs- und Gesellschaftsinstitutionen geworden, selbst wenn sie noch von den Höfen finanziert waren. Für die Fürstenfamilien gab es in den inzwischen stadtbildprägend errichteten Theatern besondere Plätze, aber eigentlich nahmen sie wie das bürgerliche Publikum an den Aufführungen professioneller Ensembles und Orchester teil. Das war aber nicht immer so.

Theater und höfische Festkultur

Lange Zeit war das Theater eng mit der höfischen Festkultur verknüpft, in der die Herrscher selbst eine tragende Rolle spielten. Ritterspiele, Triumphe, zur Schau abgehaltene Heerlager und thematisch ausgelegte Kostümfeste hatten im 17. und 18. Jahrhundert zum Teil theatralen Charakter, in denen auch das Handeln von Fürstinnen und Fürsten einer Regie folgte. Auch zu festlichen Anlässen wie Geburtstagen kam es häufig zu Theateraufführungen, und nicht selten wirkten dabei Mitglieder der herrschenden Familie ebenso mit wie adelige und bürgerliche Höflinge und Bedienstete. Professionelle Schauspieler waren bis weit ins 18. Jahrhundert in den deutschen Territorien ausschließlich als reisende Theatergesellschaften anzutreffen, die sich mal länger, mal kürzer in Städten und an Höfen aufhielten, um dort ihr Repertoire zu spielen oder bestellte Stücke aufzuführen.

Auch für viele thüringische Höfe ist ein reges Theaterinteresse belegt. Aus Archivalien geht hervor, welche Stücke zu bestimmten Gelegenheiten gespielt wurden und wer daran mitwirkte. Neben mobilen Schauspieltruppen waren an einigen Höfen vor allem der ernestinischen Linien seit dem späten 17. Jahrhundert talentierte Personen in wechselnden Besetzungen, aber auch in festen Gruppen aktiv. Als Dilettanten – ein damals noch positiv besetzter Begriff für ambitioniertes Laientum – wurden interessierte Bürger, Adelige und jugendliche Nachkommen der Regenten herangezogen. Wo es höhere Schulen gab, gehörte das Theaterspielen zum Bildungsprogramm. Dann standen moralisierende und biblische Inhalte im Vordergrund, während zu festlichen Anlässen mythologische Themen unterhaltsam dargeboten werden konnten.

Liebhabertheater im Schloss Sondershausen,
Foto Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

An vielen Höfen erlebte die Theaterkultur kurze Blütezeiten und längere Flauten, abhängig von der Aktivität einzelner Personen. Kontinuität hingegen entwickelte sich beispielsweise am Weimarer Hof des 18. Jahrhunderts unter Herzogin Anna Amalia. Das erste deutsche Hoftheater als Institution mit festem Ensemble entstand allerdings in Gotha. Dorthin war die damals für ihre Qualität hoch geschätzte Seylersche Schauspiel-Gesellschaft gegangen, nachdem ihre längere Zeit genutzte Spielstätte am Weimarer Hof 1774 abgebrannt war. Star dieses Ensembles war Conrad Ekhof, der nun die Qualität des Gothaer Hoftheaters maßgeblich bestimmte. Als er 1778 starb, wurde das Hoftheater wieder aufgelöst, und für Jahrzehnte waren nun wieder Dilettanten die Akteure.

Trendiges Theater mit frischem Wind

Inzwischen war das Liebhabertheater, wie man das Dilettantenschauspiel gern übersetzte, zu einem intellektuellen Trend geworden. Johann Wolfgang Goethe, seit 1775 in Weimar, schrieb Stücke für die Aufführung im Freien, an denen er selbst mitwirkte. Der Inhalt war dabei teils sogar für die Aufführungsplätze im Park an der Ilm und im Schlosspark Tiefurt geschrieben. Auf Schloss Kochberg baute Freiherr Carl von Stein ein freistehendes privates Theater, das er ab 1800 als Liebhabertheater betrieb und an dessen Tradition dort heute Aufführungen nach historischem Vorbild anknüpfen. Explizit für das Liebhabertheater entstand in den 1830er Jahren auch eine kleine Bühne im Nordflügel von Schloss Sondershausen – aber nicht als Ersatz für das Berufstheater, sondern als Ergänzung.

Parallel zum anspruchsvollen Dilettantismus schritt die Professionalisierung des Theaterwesens voran. Zu Goethes Aufgaben in Weimar gehörte ab 1791 die Leitung des Hoftheaters, für das Administrative war ihm ein Hofbeamter an die Seite gestellt. Für Kontinuität und gleichbleibende Qualität sorgte ein festes Ensemble von Berufsschauspielern. Diese Tendenz setzte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts auch an den anderen thüringischen Höfen durch, ohne dass dadurch die Freude an Liebhaberaufführungen geschmälert worden wäre.

Lieberhabertheater Schloss Kochberg,
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Bühnen, Kulissen, Technik

Nicht nur das Theaterwesen professionalisierte sich und wurde gewissermaßen sesshaft, auch die Bühnen nahmen eine vergleichbare Entwicklung. Den Anfang machten vielerorts provisorisch aufgeschlagene Bühnen, von denen heute nur noch schriftliche Quellen zeugen. Für die Zeit um 1700 ist auf diese Weise belegt, dass etwa in den Sälen der Residenzschlösser in Sondershausen und Rudolstadt im Zusammenhang mit Festen Theateraufführungen auf Bühnen mit aufwendig gemalten Kulissen und Illuminationen stattfanden, bevor in benachbarten Räumen getafelt wurde. Auch Nebengebäude wie etwa die notwendigerweise großzügig gebauten Reithäuser oder Orangerien boten sich zum Aufbau temporärer Theater an – letztere freilich vorrangig in den Sommermonaten.

Schon früh gab es aber das Bedürfnis, feste Theater in Schlösser einzubauen. Prominentes Beispiel dafür ist das barocke Theater auf Schloss Friedenstein, das heute nach seinem bedeutendsten Akteur Ekhof-Theater genannt wird. Das in den Westturm integrierte Theater selbst ist allerdings fast 100 Jahre älter als die Gothaer Wirkungszeit Conrad Ekhofs. Schon 1682 fanden hier die ersten Aufführungen statt. Zuvor hatte Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg entschieden, in den ursprünglich als Ballhaus – also unter anderem für die namengebenden Ballspiele – eingerichteten, über zwei Geschosse reichenden Saal von stolzen 24 Metern Länge und 11 Metern Breite ein hölzernes Theater einbauen zu lassen.

Ekhof-Theater im Schloss Friedenstein Gotha,
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Das Ekhof-Theater war nicht das einzige fest in einen Schlosssaal eingebaute Theater. Aber es ist das einzige erhaltene. Überdauert hat nicht nur die Raumarchitektur mit der Bühne und dem später noch einmal veränderten Zuschauerraum, sondern auch eine besondere Rarität – die ursprüngliche Bühnenmaschinerie mit Kulissenwagen in der Unterbühne für den sekundenschnellen Szenenwechsel, einer versenkbaren Beleuchtungsanlage und der Oberbühne mit Schnürboden und einer Holztrommel für den schnellen Wechsel der den Bühnenraum nach hinten abschließenden Leinwandprospekte.

Barocktheater mit Special Effects

Zu den visuellen Spezialeffekten gesellten sich akustische wie Donner und Wind, die mit polternden Steinen in einem Holzkanal und mit Reibung auf einer leinenbespannten Trommel erzeugt wurden. Die Maschinerie ermöglichte überraschende Verwandlungen und staunenswerte Wendungen, die für die an den Festinszenierungen orientierte barocke Theaterwelt so wichtig waren wie der Inhalt der Stücke selbst. Hinzu kam ein abgetrennter Orchestergraben direkt vor der Bühne. Das so ausgestattete Theater bot beste Bedingungen für Oper und Schauspiel, und die Herzogsloge wurde so platziert, dass sie von leicht erhöhtem Standort die ideale Perspektive auf das Bühnengeschehen erlaubte.

Ekhof-Theater im Schloss Friedenstein Gotha,
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Feste Theater gab es in vielen anderen Schlössern, allerdings wurden sie später wieder entfernt. Nur anhand historischer Pläne und Schriftquellen lassen sich solche Einbau-Theater noch lokalisieren, zum Beispiel im Riesensaal von Schloss Sondershausen, im Erdgeschoss des Weimarer Residenzschlosses und im großen Saal über der Schlosskirche von Schloss Elisabethenburg in Meiningen. Prospekte, wandelbare Kulissen, ein fester Platz für das Orchester und Garderoben für die Schauspieler gehörten dabei offenbar zum Standard. Da die Räume ursprünglich nicht als Theatersäle gebaut worden waren, mussten für die speziellen Bedürfnisse manchmal originelle Lösungen gefunden werden – wie etwa Garderobenkabinette in den tiefen Fensternischen des Theatersaals von Schloss Elisabethenburg.

Loslösung der Schlosstheater

Im 19. Jahrhundert zogen die meisten Theater aus den Schlössern aus. Einer der Gründe war die Brandgefahr. Das Bühnengeschehen musste mit offenem Licht beleuchtet werden, bei schauspielerischer Aktivität und beweglichen Lichtquellen konnte das leicht schiefgehen. Anstelle der Theater in den Schlössern entstanden nun freistehende Theaterbauten. Damit verlagerten sich nicht nur die Räume, sondern auch das Theatergeschehen selbst vom Schlossbezirk in den Stadtraum, die Theater konnten von Räumen höfischer Kultur unter bürgerlicher Beteiligung zu Orten bürgerlicher Kultur unter höfischer Förderung werden.

Schloss Elisabethenburg Meiningen,
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Von den in thüringischen Residenzstädten errichteten Hoftheatern des 19. Jahrhunderts hat das in Meiningen 1831 eingeweihte und nach einem Brand 1908 neu errichtete Theater eine besondere Bedeutung erlangt. Allerdings nicht wegen des Gebäudes oder seiner Bühnentechnik, sondern wegen der dort praktizierten Schauspielkunst. Georg II. von Sachsen-Meiningen erwarb sich dabei den Beinamen „Theaterherzog“, denn er leitete das Theatergeschehen, etablierte nach eigenen Prinzipien das Regietheater und kümmerte sich bis ins Detail um Aufführungspraxis, Kostüme und Bühnenbilder. Seine Ausrichtung auf Werktreue, historische Genauigkeit in der Kostümierung und nicht zuletzt seine hohen künstlerischen Ansprüche machten das Hofheater so maßstabsetzend, dass das Ensemble als „Die Meininger“ mit seinen Aufführungen in ganz Europa gastieren konnte.

Was Georg II. als künstlerisch handelnder Herzog zum mustergültigen Kunstbetrieb entwickelte, ist ohne die in den vorausgehenden Jahrhunderten auf den zahllosen thüringischen Hofbühnen gepflegte Theaterkultur kaum denkbar. Und die wirkt bis in die Gegenwart weiter. Auf provisorisch aufgeschlagenen Bühnen, bei Aufführungen in Parkszenerien, in Dilettantentheatern, auf wandelbaren Barockbühnen und in prunkvollen Hoftheatern entstand im gegenseitigen Austausch und sicher dank einer gehörigen Portion Konkurrenz zwischen den Höfen das, was heute ein wichtiger Baustein des Thüringer Kulturerbes ist.

Franz Nagel

Vom 24. bis zum 26. Oktober 2025 wird zum Thema „Hoftheater – Theaterhöfe. Räume, Konzepte und Praxis des Theaters seit dem 18. Jahrhundert“ im Theatermuseum Meiningen getagt. Mehr zum Programm hier.

Pfeilersanierung auf Schloss Friedenstein

Ein Sanierungsvorhaben, dutzende Elefantendamen und eine Krake

AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflege
Ein Pfeiler, 270 Tonnen Last und eine Krake mit hydraulischer Unterstützung – das alles kommt gerade bei einer Mustersanierung im Hof von Schloss Friedenstein in Gotha zusammen.

Vor wenigen Wochen hat an Thüringens größtem Barockschloss die Mustersanierung eines Pfeilers begonnen. Es ist die erste umfassende Maßnahme an den wichtigen Stützen des Schlosses seit mehr als 350 Jahren. In einem Rutsch wurde Schloss Friedenstein im 17. Jahrhundert errichtet, dazu gehörten auch 54 Arkadenpfeiler, die bis heute im Schlosshof ihre optische Wirkung entfalten. Ohne viel zierenden Schnickschnack, aber mit imposanter Tragkraft warten sie seitdem auf. Jeder Pfeiler trägt das Gewicht von rund 270 Tonnen, das kommt dem Gewicht von 100 Elefantendamen gleich. Eine Meisterleistung, die die Experten bei der Sanierung aber auch besonders fordert. Alle Arkadenpfeiler am Westflügel und weitere am Ostflügel müssen saniert werden, das hatten bauwerksdiagnostische Untersuchungen und statische Berechnungen Ende 2022 ergeben. Durch eine Korsettkonstruktion aus Keilhölzern und Spanngurten sind eine Vielzahl von Pfeilern bis zur Sanierung seither provisorisch gesichert.

Schloss Friedenstein in Gotha, Foto: STSG, Philipp Hort

Im Rahmen einer Mustersanierung wird jetzt das Verfahren erprobt. Mal ebenso den Pfeiler rückbauen, um den Kern zu stabilisieren, das geht nicht. Das statische Gefüge einer ganzen Schlossachse würde ins Wanken geraten. Wie nicht selten in der Denkmalpflege musste also eine besondere Lösung her. Bei der Suche kamen die Experten auf die Krake.

Arkadenpfeiler mit Abstützkonstruktion während der Musterpfeilersanierung 2025,
Foto: STSG, André Kranert

Eine eigens angefertigte Stahlkonstruktion mit vier Schrägstützen übernimmt während der Sanierung die Lasten, die sonst auf dem Pfeiler ruhen. Über die Stützen werden sie nach den Seiten auf Stahlbetonfundamente abgeleitet. Mehr noch, durch eine hydraulische Pumpe und vier Hydraulikpressen wurde die Schlossachse über dem Pfeiler um zwei Millimeter langsam angehoben. Das ermöglichte den Rückbau der Sandsteine, der für die Sicherung unumgänglich ist.    

Nachdem die rötliche Sandsteinschale abgebaut wurde, konnte der aus Kalkstein und Mörtel bestehende Pfeilerkern begutachtet werden. In den folgenden Schritten wird er stabilisiert. Auch das Pfeilerfundament muss verstärkt werden. Anschließend wird der Sandsteinmantel wiederaufgebaut. Mit der Mustersanierung des Pfeilers werden neue Techniken erprobt, die dann bei der Sanierung der weiteren Arkadenpfeiler Anwendung finden. Die Krake sowie die Fertigteilfundamente, auf denen diese stehen wird, sollen  dann im Schlosshof auf Wanderschaft gehen.

Pfeilersanierung im Schlosshof von Schloss Friedenstein, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Die Sanierung der Arkadenpfeiler ist Teil des 110-Millionen-Euro-Sanierungprogramms für Schloss Friedenstein in Gotha, das jeweils zur Hälfte von Bund und Land finanziert wird. Ein wichtiger Schwerpunkt im Rahmen des umfassenden Sanierungsprojekts sind statische Maßnahmen, an vielen Stellen erstmals seit der Erbauung des Schlosses Mitte des 17. Jahrhunderts. Dabei spielen die freistehenden Arkadenpfeiler um den Schlosshof eine entscheidende Rolle.

Anke Pennekamp

Gewässersanierung mit Wegewiederherstellung im Schlosspark Molsdorf

Der Weg ist das Ziel

BaugeschehenDenkmalpflegeGartenkultur
Im 19. Jahrhundert wurde der Schlosspark Molsdorf von einem barocken Schlossgarten zum Landschaftspark überformt. Sowohl davor als auch danach spielten die Wege eine besondere Rolle. Sie leiten durch den Park, eröffnen besondere Ausblicke und strukturieren die Parkpartien mit. Wie alle Gestaltungselemente eines Gartenkunstwerks unterlagen auch sie der Mode der Zeit. Im Schlosspark Molsdorf wird im Zuge der Gewässersanierung jetzt auch der historische Weg am Sichelteich wiederhergestellt.

In charmanten Bahnen, aber auch mal auf der Schnurgeraden führen sie Flaneure seit Generationen durch das Gartenkunstwerk, die Wege im Schlosspark Molsdorf. Wie der ganze Schlossgarten spiegeln auch sie unterschiedliche Epochen wieder.

Schloss Molsdorf, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Im 18. Jahrhundert erwarb der als Lebemann und Parvenu bekannte Gustav Adolph Graf von Gotter eine ehemalige Wasserburg nahe Erfurt. Zum Lustschloss umgebaut, ließ er auch einen barocken Schlossgarten anlegen, in dem natürlich Wasserspiele nicht fehlen durften. Lange nach Gotter wurde der Schlossgarten im 19. Jahrhundert dann unter Federführung des Schlossgärtners Johann Rudolph Eyserbeck zum Landschaftsgarten umgestaltet. Dabei wurde der Barockgarten überformt, einige Gestaltungselemente des Barock blieben allerdings erhalten. Darunter ein Teil des barocken Kanal- und Grabensystems, das die ehemaligen Wasserspiele speiste. Auch ein Teil der geraden Wege wurde übernommen, die einst den streng gegliederten Barockgarten durchzogen. Hinzu kamen aber auch geschwungene Wege, die ganz der neuen Mode des Landschaftsparks verschrieben, mehr natürlichen Schwung und überraschende Aussichten mit sich brachten.      

Suchschnitt für die Wegewiederherstellung im Schlosspark Molsdorf, Foto: STSG, Jonathan Simon

Mitte des 20. Jahrhunderts ging einer dieser Wege des Landschaftsparks in der Rasenfläche verloren. Er führte die Spaziergänger früher am Sichelteich entlang. Im Zuge der im letzten Jahr begonnenen Gewässersanierung im Schlosspark wird nun auch die wichtige Verbindungsachse mit gestalterischer Wirkung wiederhergestellt. Auf alten Fotografien und Plänen ist der Weg noch gut zu erkennen. Er hat auch greifbare Spuren hinterlassen, wie ein Suchschnitt mit Bagger in dieser Woche ans Licht brachte. Die Experten entdeckten, dass der Wegeunterbau noch vorhanden ist. Auch die Wegebreite und der historische Verlauf sind durch die Schürfe noch genau nachvollziehbar.

Während die Wegewiederherstellung gerade beginnt, sind die Teiche und der Kanal im Park bereits entschlammt. Im November 2024 war zunächst das Wasser abgelassen worden. Der Teich am Schloss und der Sichelteich im Park sowie der Kanal und ein angeschlossener Graben wurden im Anschluss ausgebaggert.  Nach dem Entschlammen begann die Ufersanierung, dabei kamen altbewährte Methoden zum Einsatz. In traditioneller Bauweise werden die Uferlinien durch Robinienstaketen und Eichenbohlen befestigt und zukünftig gegen das Ausspülen geschützt.

Entschlammung des Sichelteichs im Schlosspark Molsdorf,
Foto: STSG, Jonathan Simon

Neben dem Weg am Sichelteich wird auch die historische Wegeachse mit Rondell entlang des Kanals im Zuge der Gewässersanierung wiederhergestellt. In ein paar Monaten können die Besucher wieder die neuen alten Wege im Schlossgarten beschreiten, deren Entstehung man gerade mitverfolgen kann.

Anke Pennekamp

Neue Uferbefestigung im Schlosspark Molsdorf,
Foto: STSG, Jonathan Simon

Bauforschung am Refektorium von Kloster Veßra

Was Mauern erzählen

AllgemeinBaugeschehenDenkmalpflegeKulturgeschichte
Was Baufugen, Maueranschlüssen und Abbruchkanten alles preisgeben können, davon können die Bauforscher eine Geschichte erzählen.

„Eigentlich beginnt es im Büro“, sagt Klaus-Peter Wittwar. Die erste Beschäftigung mit der Südklausur von Kloster Veßra anhand der Forschungsliteratur hat bei dem erfahrenen Bauforscher der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten einige Fragen aufgeworfen. Und eine Bauforschung fängt meist mit einer intensiven Recherche am Schreibtisch, in der Bibliothek und auch in den Archiven an. „Es gab schon verschiedene Untersuchungen. Durch sie wussten wir, dass im Bau noch romanische Bausubstanz schlummert. Das wollten wir genauer wissen“, so Wittwar.

Kloster Veßra, links das Refektorium, Foto: Nils Eisfeld

Südlich der 1138 geweihten Klosterkirche gab es ursprünglich drei Klausurflügel um einen Kreuzgang. In diesem Bereich des Hausklosters der Grafen von Henneberg lebten zunächst Stiftsherren und -damen gemeinsam, bis 1177 durch einen Brand die Damen nach Trostadt zogen. Auch nachdem die Grafschaft Henneberg 1544 protestantisch geworden war, blieb das Stift zunächst bestehen. Etwa dreißig Jahre später wurde es in ein gräfliches Kammergut umgewandelt. Zu dieser Zeit wurde der Westflügel der Klausur als Vogteihaus genutzt und umgebaut. Während der Ostflügel verfiel, wohnten im West- und Südflügel später Tagelöhner. Der Ostflügel stürzte 1686 ein. Die Steine der Ruine wurden im 18. Jahrhundert für den Neubau eines Schweinestalls im Kreuzhof verwendet.

Südliches Klausurgebäude von Süden, Foto: STSG, Tino Trautmann

Eine komplexe Gebäudebiografie durch die der Bauforscher zu den mittelalterlichen Ursprüngen der Klausur vordringt. Hierzu musste Wittwar in den Mauern lesen. Bauforschende können anhand von Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten wie Baufugen, Maueranschlüssen und Abbruchkanten Rückschlüsse auf die Baugeschichte ziehen. Bei der Südklausur in Kloster Veßra fand Wittwar eine solche Unregelmäßigkeit am heutigen östlichen Ende des Südflügels. Eine Baufuge im Mauerwerk der Nordwand ist stiller Zeuge einer Veränderung: „Wir haben es hier mit zwei romanischen Bauphasen zu tun“, erläutert der Bauforscher. „Man hat an der Ostwand angefangen zu bauen, dann gab es eine Planänderung – oder eine Katastrophe.“ Das bezeugen auch Spuren an der Innenseite der Ostwand. Dort finden sich unter der Holzbalkendecke Putzreste mit Bemalungen, der Rest der Mauer war bis vor etwa zwanzig Jahren unverputzt. Solche unverputzten Mauerbereiche sind für die Bauforschung sehr wertvoll. So können zwischen Steinen, Fugen und Mörtel Veränderungen abgelesen werden. Im untersuchten Bereich zeichnen sich zwei große Bögen im Mauerwerk ab, die sich über die Wandfläche ziehen. Die beiden Bögen sind Reste eines ehemaligen zweiteiligen Gewölbes, mit dessen Bau begonnen worden war. Doch an der zweiten romanischen Mauer, der Nordwand, sind entsprechende Gewölbeansätze nicht zu finden. Mitten im Bau entschied man sich also offenbar gegen ein Gewölbe und für eine Holzdecke. Ob der Grund im Finanziellen lag oder gar in einem Brand, ist ungewiss. So können die Mauern zwei unterschiedlichen romanischen Bauabschnitten zugeordnet werden.

Refektorium mit Gewölbeansätzen, 1997,
Foto: Hennebergisches Museum Kloster Veßra, Fotoarchiv, Dia 594

Im Erdgeschoss sind keine weiteren Stellen zu finden, an denen Mauern angesetzt haben. Wo lag also die Trennwand oder war der Raum vielleicht ein großes Refektorium, in dem am Anfang alle Stiftsherren und -damen zusammen gespeist haben? „Wir wissen es nicht“, erklärt Klaus-Peter Wittwar.

Bei einer Bauforschung sind nicht alle Erkenntnisse in Stein gemeißelt. Manches Ergebnis ist auch ernüchternd – in der Südklausur gibt es deutlich weniger romanische Bausubstanz als ursprünglich angenommen. Zwei Brände im 16. Jahrhundert zerstörten den Gebäudetrakt. Danach mussten die Südwand neu gebaut und Trennmauern im Refektorium und im Keller eingezogen werden. Die an das Refektorium anschließende Küche musste ebenfalls verändert werden. Besonders im Dach und im Obergeschoss zeigen sich die Auswirkungen der Brände. Hier ist gar keine romanische Bausubstanz erhalten. Die Außenwände wurden um 1500 neu errichtet und die ältesten der Innenwände stammen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ein Inventar von 1633 bezeugt, dass sich hier die Abtsstube mit einem großen Erschließungssaal befunden hat.

Baufuge an der Außenfassade des Refektoriums, Foto: STSG, Klaus-Peter Wittwar

Die vielen verschiedenen Detailinformationen zur Baugeschichte eines Gebäudes mit all den Befunden und Thesen werden meist in einer kniffligen Phase nach den Untersuchungen vor Ort zusammengeführt. Dann werden Bauphasenpläne angefertigt und schriftlich die Zusammenhänge der Baugeschichte rekonstruiert. Klaus Peter Wittwar weiß aus Erfahrung: „Da stößt man immer wieder auf Stellen, über die man wieder und wieder nachdenken muss, manchmal muss man auch nochmal genauer untersuchen, bevor am Ende eine schlüssige These formuliert werden kann.“ So endet Bauforschung, wie sie begann – am Schreibtisch.

Kira Dobbe

Raumillusionen mit Pinsel und Farbe

Täuschung auf Bestellung

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Scheinbar Unerreichbares unmittelbar erleben – das ist das Versprechen moderner Technologien, die mit Spezialbrillen und Projektionen digital erschaffene Räume zugänglich machen. Der Wunsch, die Wirklichkeit um Unwahrscheinliches und manchmal auch unglaubliches zu erweitern, ist aber viel älter. Lange war dafür die Malerei das wichtigste Medium.

In den Schlössern des Barockzeitalters loteten Bauherren und Künstler die Möglichkeiten analoger 3D-Effekte aus. Im Unterschied zu heutigen interaktiven Räumen funktionieren die gemalten Illusionen aber meist nur von einem festen Standort aus.

Deckenmalerei im Münzkabinett von Schloss Friedenstein in Gotha,
Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Mit der Anwendung der Zentralperspektive – wiederentdeckt in der Renaissance – konnte die Malerei glaubhafte Räume schaffen und die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit verwischen. Und das auch nach oben. Im Münzkabinett auf Schloss Friedenstein in Gotha setzen sich beispielsweise die Stuckgesimse im Deckengemälde fort, dazwischen öffnet eine Balustrade den Raum zum Himmel. Figuren schweben auf Wolken, es sind die Personifikationen von Afrika und Amerika mit begleitenden Gestalten. Zusammen mit Europa und Asien im benachbarten Feld vereint die Raumdecke also die vier Erdteile. Wer nach oben blickt, findet sich in einem metaphorisch erweiterten Raum wieder.

Deckenmalerei im Treppenhaus von Schloss Molsdorf bei Erfurt, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Besucher von Schloss Molsdorf wurden gleich im Treppenhaus in ein Wechselspiel aus Realität und Mythologie entführt. Die Decke über der Treppe ist per Malerei zum Himmel geöffnet. Dort bestraft Venus den Amor, der durch einen Pfeilschuss auf Apoll für Ärger in der Götterwelt gesorgt hatte. Eingefasst sind die auf einer Wolke schwebenden Figuren durch eine gemalte Balustrade, auf der Vasen mit Pflanzen stehen – ähnlich den Urnen auf dem realen Treppengeländer.

Buffetzimmer im Schloss Molsdorf mit feuriger Illusion, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Das Spiel mit der Täuschung konnte auch Alltagsgegenstände einbeziehen. In Schloss Molsdorf löste man damit ein ästhetisches Problem. In das dortige Büffetzimmer ragt die Rückseite des Kamins hinein, der im Saal in die Wand eingelassen ist. Kurzerhand erhielt der Kamin auch auf seiner Rückseite das Erscheinungsbild eines Kamins, flackerndes Feuer und das beiseitegelegte Kaminbesteck inklusive.

Illusionistische Malerei im Festsaal von Schloss Heidecksburg in Rudolstadt, Foto: STSG, Constantin Beyer

Im Festsaal von Schloss Heidecksburg haben Architekt, Stuckateur und Maler das Verwechslungsspiel auf die Spitze getrieben. Hier überlagern sich realer und gemalter Stuckmarmor, echte und vorgetäuschte Architekturelemente. In einer Emporennische halten auf einer in den Raum quellenden Wolke die Personifikationen von Musik und Malerei ein Medaillon mit dem Porträt des Fürsten. Das wie ein Relief wirkende Bildnis ist gemalt, sein ovaler Rahmen jedoch stuckiert und vergoldet. Die darunter stehenden Figuren sind wie Skulpturen einfarbig gehalten, bewegen sich jedoch, als seien sie lebendig.

Schloss Wilhlemsburg in Schmalkalden wartet mit illusionsreichen Rahmungen auf, Foto: STSG, Constantin Beyer

Lange vor den barocken Raffinessen entstanden auf Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden um 1600 in großer Zahl Wandmalereien, denen man die Freude am Fabulieren förmlich ansieht. Vor allem die Türen sind mit Architekturillusionen eingefasst, um die sich in großer Leichtigkeit Bögen, Bänder, Vasen, Tiere, Pflanzen und vieles mehr gesellen. Die filigranen Bilder bedienen die Schaulust und die Freude am Kuriosen, sind aber zugleich auch schmückende Elemente, die dem Schloss und seinen Räumen Pracht verleihen.

Deckenmalerei im Vorzimmer des Erbprinzengemachs von Schloss Friedenstein Gotha, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Architektonische Pracht ließ sich mithilfe der Malerei nahezu unbegrenzt entfalten, wo der reale Raum an Grenzen gebunden war. Im Vorzimmer des Erbprinzengemachs auf Schloss Friedenstein öffnet sich im zentralen Oval der Stuckdecke der Blick in eine gemalte Kuppel, durch deren runde Öffnung eine Wolke mit der Jagdgöttin Diana hereindringt. Ihr folgt in einigem Abstand und deshalb etwas kleiner Jupiter. Aus den Seitenbögen schauen Putten auf den Betrachter herab. Die Kuppel selbst hat der Maler monochrom ausgeführt und Stuckaturen fingiert.

Römisches Zimmer im Schloss Sondershausen, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

 
An der Schwelle vom Barock zum Klassizismus entstand das Römische Zimmer in Schloss Sondershausen. Sämtliche Gliederungen, Architekturelemente, Reliefs und Stadtansichten sind hier auf ein und dieselbe Leinwandfläche gemalt. Für die Unterscheidung der verschiedenen Bildebenen sorgen Farbnuancen – während die Raumillusion von Grau und Rosa bestimmt ist, sind die gemalten Reliefs unter dem Deckensims und über den Türen gelblich gehalten. Davon in einem blaugrünen Ton abgesetzt sind Ansichten der Stadt Rom, die wie gerahmte monochrome Gemälde wirken.

Franz Nagel

Entdeckungen auf der Burg Weißensee

Heiße Baugeschichte

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Baugeschichte, die bis in die Romanik zurückreicht, versteckt sich auf der Burg Weißensee. Im 12. Jahrhundert wurde die Burg durch die Landgräfin Jutta von Thüringen, einer Halbschwester Kaiser Friedrich I. Barbarossas erbaut. In der Frühen Neuzeit wurde die Burg zum Schloss umgebaut und diente lange als Amtssitz. Später kam noch das Preußische Landratsamt hinzu.

Bei einer stolzen Baugeschichte von über 800 Jahren verwundert es nicht, dass immer mal wieder verborgene Schätze in der ehemaligen Burganlage der Thüringer Landgrafen ans Tageslicht treten. Mal verstecken sie sich in Wänden, mal in der Erde und erfreuen Archäologen, Bauforscher und Kunsthistoriker immer wieder aufs Neue.

Burg Weißensee, 2024, Foto: STSG, Thomas Müller

Einer der beeindruckendsten Funde wurde vor ein paar Jahrzehnten im Palas gemacht. Eher zufällig tauchte bei Freilegungen eine Säule in einer Wand auf. Fein ausgearbeitet zeigt ihr Kapitell ein Weinrankenmotiv mit ineinander verschlungenen Blättern. Der Säulenschaft ist als Ast ausgebildet. Die Astsäule war Teil der Ausstattung des Palas, in dem sich ein großer Saal befand und im Mittelalter gewohnt und gefeiert wurde.

Astsäule im Palas der Burg Weißensee, Foto: STSG, Constantin Beyer

In den 1980er Jahren wurde nördlich des Palasturms eine hochmittelalterliche Heizanlage ergraben. Sie wurde damals im Zuge von Schachtarbeiten zur Verlegung einer Entwässerungsleitung entdeckt. Später abgedeckt, musste die marode gewordene Abdeckung jüngst gewartet werden, dabei trat das technische Bauwerk wieder ans Licht.

Steinofenluftheizung auf der Burg Weißensee,
Foto: STSG, Tino Trautmann

Die sogenannte Steinofenluftheizung lag ehemals im Kellergeschoss eines später abgetragenen Gebäudes. Die Heizungsanlage besteht aus einer Vorkammer, die gewölbt war. Die Gewölbeansätze sind noch immer zu erkennen. An die Vorkammer schließt die eigentliche Brennkammer an. Sie war durch eine Türöffnung erreichbar und besitzt zwei übereinanderliegende Gewölbe, die fragmentarisch erhalten sind.

Blick in die Vorkammer der historischen Heizungsanlage,
Foto: STSG, Tino Trautmann

Zum Heizen wurde in der Brennkammer der untere Gewölbeteil mit Brennholz bestückt, so dass sich die Luft im Gewölbe darüber rauchfrei erwärmen konnte. Über eine doppelkonische Öffnung im Scheitel des Gewölbes strömte die Warmluft rauchfrei in das darüberliegende Geschoss. Über der Tür zum Brennraum befindet sich eine Öffnung für die Luftzufuhr, welche nach Bedarf geschlossen werden konnte.

Brennkammer der Steinofenluftheizung auf der Burg Weißensee,
Foto: STSG, Tino Trautmann

Die Heizanlage sorgte für mehr Komfort in einem größeren Gebäudekomplex, dessen Westmauer vor Jahren ergraben wurde. Seine Funktion gibt den Experten allerdings noch immer Rätsel auf, es handelte sich wahrscheinlich um ein herrschaftliches Gebäude, das im Zusammenhang zum Palas stand.

Neuer Multimediaguide vorgestellt

Urlaub auf Balkonien

DenkmalpflegeGartenkulturKulturgeschichteVermittlung
Sechs Orte, eine Web-App, gut 1.000 Jahre Geschichte und eine Majestät.

Schon Johann Wolfgang von Goethe genoss seinerzeit eine Auszeit auf Balkonien. Gemeint sind die drei Dornburger Schlösser bei Jena. Hoch über dem Saaletal auf einer Hangkante thronend, wird das Ensemble mit imposantem Ausblick auch Balkon Thüringens genannt. Was Goethe in Dornburg machte, wie das Schlossensemble entstand und welche Rolle dabei auch die Schlossgärten spielten, dazu kann man jetzt im neuen Multimediaguide der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mehr erfahren.

Multimediaguide QR-Code auf den Dornburger Schlössern,
Foto: STSG, Christian Hill

Aber nicht nur für die Sommerresidenz der Herzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach in Dornburg wartet der Mediaguide mit spannenden Inhalten auf, auch Schloss Schwarzburg, die Peterskirche in Erfurt, das Oberschloss Kranichfeld, Kloster Paulinzella und Schloss und Park Wilhelmsthal werden ab jetzt durch eigene Guides neu erschlossen. Und es ist noch Luft nach oben, im August geht zusammen mit einer neuen Dauerausstellung auch im Kloster Göllingen ein weiterer Guide an den Start.

Eine handliche App, die nicht heruntergeladen werden muss, sondern direkt über das Web wie eine Homepage aufgerufen werden kann, wenig Daten verbraucht und für die Besucherinnen und Besucher kostenfrei ist, das war das Ziel des neuen Multimediaguides. Ab sofort ist er unter guide.thueringerschloesser.de und vor Ort über QR-Codes jederzeit abrufbar und lädt zur Entdeckungsreise mit dem eigenen Smartphone oder Tablet in die Schlösserwelt Thüringens ein. 

Schlendern, knobeln und den Blick schweifen lassen

Neben Touren für Erwachsene finden sich in der App auch Geschichten für Kinder, Rätselspiele, 3D-Modelle und Hingucker, die den Blick auf Details lenken – das Angebot ist immer auf das jeweilige Denkmal und seine Geschichte zugeschnitten. So veranschaulichen zwei 3D-Modelle den Zustand von Schloss Schwarzburg vor und nach der baulichen Zerstörung durch die Nationalsozialisten. Auf dem Oberschloss Kranichfeld ist der Mediaguide eng mit einer neuen Dauerausstellung verknüpft und bietet Vertiefungsebenen, denn bei 900 Jahren Burg- und Schlossgeschichte gibt es viel zu erzählen. Im Kloster Paulinzella hält Geistereule Pauline spannende Zusatzgeschichten für Kinder und Junggebliebene zum Bau des ehemaligen Klosters bereit – dabei geht es auch mal um Trollnasen und Bausteine oder Türen zum Himmel.

Mit dem neuen Dornburg-Guide können auch im Rokokoschloss ausgewählte Räume und Kunstwerke entdeckt werden, Foto: STSG, Franz Nagel

Kultur mit Vergnügen entdecken

Entstanden ist der neue Multimediaguide im Rahmen des Digitalisierungs- und Vermittlungsprojekts SchlösserWelt Digital&Original, das durch Bund und Land mit insgesamt 3,9 Millionen Euro finanziert wird. Es ermöglicht der STSG große Schritte in Sachen Vermittlung, die sonst nicht möglich wären. Neben den neuen Touren entstehen außerschulische Lernangebote, neue Dauerausstellungen und vieles mehr.

Der Multimediaguide soll auf unterhaltsame Weise mit den Kulturdenkmalen vertraut machen, Details in den Blick nehmen und Geschichten hinter Gebäuden und Gartenkunstwerken erzählen. Die Stationen innerhalb der Touren haben keine feste Reihenfolge, der Einstieg ist an jeder Station direkt per QR-Code möglich. Die App einschließlich der praktischen Besuchsinformationen ist in deutscher und englischer Sprache verfügbar. Auch Inklusion und Barrierefreiheit spielten bei der Erstellung des Mediaguides eine wichtige Rolle: leicht verständliche Sprache, klares Design und Inhalte für jedes Alter waren das Ziel.

Auf dem Oberschloss Kranichfeld schafft der Multimediaguide weitere Vertiefungsebenen, Foto: STSG, Philipp Hort

Zu den ersten, die den neuen Mediaguide in Dornburg testeten, gehörte auch eine frisch gekrönte Majestät: die Dornburger Rosenkönigin schritt zusammen mit ihrer Prinzessin gleich zur Entdeckungstour. 

Wer Lust hat, auch mal Balkonien neu zu entdecken, oder wissen will, warum es Influencer schon vor 2000 Jahren gab und im Kloster „Alles in Ordnung“ ist, der ist herzlich eingeladen, mal rein zu schauen und zu hören in den neuen Multimediaguide der STSG.

Anke Pennekamp

Regiebetriebe als Grundlage qualitätvoller Gartendenkmalpflege

„Erfahrungswissen, das man in keinem Plan festhalten kann“

AllgemeinDenkmalpflegeGartenkultur
Wer durch einen historischen Garten spaziert, bewegt sich durch ein Kunstwerk. Es zu pflegen, erfordert spezielles Wissen und Können. Einblicke in die Pflege imposanter Parkszenerien, schmucker Teppichbeete, exotischer Pflanzensammlungen und den nachhaltigen Erhalt lebendiger Gartenkunstwerke mit den Gartenreferenten der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten.

Die Pflege historischer Parks und Gärten funktioniert am besten mit Regiebertieben, also in spezialisierten Parkteams unter der Regie von denkmalpflegerisch arbeitenden Institutionen wie der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Die Gartenreferenten Dietger Hagner und Jonathan Simon erklären im Interview, warum das so ist und worauf es bei den Regiebetrieben ankommt.

Gartenreferenten Dietger Hagner (li.) und Jonathan Simon

Dass ein Garten nicht ohne pflegende Hände auskommt, leuchtet jedem ein. Warum müssen es Regiebetriebe sein?

Hagner: Wir haben es mit Gartendenkmalen zu tun. Sie zu erhalten, erfordert eine andere Perspektive als zum Beispiel die Pflege des eigenen Gartens oder städtischer Grünflächen. In der Gartendenkmalpflege greifen wissenschaftliche Forschung und gärtnerische Praxis ineinander. Diese Besonderheit macht sich nicht bei jedem Löwenzahn bemerkbar, der aus dem Rasen gestochen wird, aber in den grundlegenden Entscheidungen und Arbeitsprozessen wird es deutlich.

Simon: Und es macht sich auch im Erscheinungsbild bezahlt. Es ist eine Frage der Qualität. Das bedeutet nicht, dass andere ihr Handwerk nicht verstehen. Den Unterschied macht die enge Anbindung an gartendenkmalpflegerische Konzepte und das Bewusstsein der Gärtner für die Eigenheit des Ortes und der auszuführenden Tätigkeit. Ein Regiebetrieb ist ein gartenfachlich gut ausgebildetes und technisch gut ausgestattetes Team unter der Leitung eines Parkverwalters, mit dem wir als Gartenreferenten gemeinsam die nahen und fernen Ziele sowie die aktuellen Aufgaben abstecken.

Dornburger Schlossgärten mit dem Rokokoschloss,
Foto: Schatzkammer Thüringe, Marcus Glahn

Lässt sich der Unterschied an einem konkreten Beispiel festmachen?

Simon: Jede gut ausgebildete Zierpflanzengärtnerin weiß, wie man eine Rose schneidet und so pflegt, dass sie im nächsten Jahr wieder prächtig blüht. Das ist auch im Gartendenkmal entscheidend. Ebenso wichtig sind hier aber auch die Auswahl der Sorten und die Festlegung von Standorten und die Beeinflussung der Wuchsform. Das ist der Teil, der sich aus den Forschungen zu einem Garten und seiner Geschichte ergibt. Und daraus leiten sich wiederum konkrete Anforderungen ab, die anders sein können als im Umgang mit modernen Rosensorten.

Hagner: Die historische Pflanzenverwendung ist ein entscheidender Punkt. Das betrifft natürlich nicht jedes Stiefmütterchen in der Frühlingsbepflanzung von Schmuckbeeten, aber der Einsatz historisch nachgewiesener Arten und Sorten ist ein zentrales Charakteristikum von Gartendenkmalen und Maßstab ihrer Qualität – und auch ein gutes Beispiel, wie Theorie und Praxis sich ergänzen. Welche Pflanzen vor 150 oder 200 Jahren häufig verwendet wurden, kann man anhand der damals schon umfangreichen Fachliteratur ermitteln. Was konkret in einem Park zum Einsatz kam, ist schon etwas schwerer herauszufinden. Das ist oft Detektivarbeit mit Plänen und Schriftzeugnissen in Archiven. Das ist ein wichtiger Teil der Forschung.

Simon: Dazu kommen naturwissenschaftliche Fragen wie zum Beispiel nach der Anfälligkeit für Krankheitserreger, nach Standortbedingungen und vielen anderen Aspekten. Gartendenkmale sind oft die einzigen Orte, wo bestimmte Sorten noch gehegt und erhalten werden, übrigens ein wichtiger Beitrag zur Artenvielfalt. All das ermitteln wir durch eigene Untersuchungen und im intensiven Austausch mit Fachkollegen innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlösserverwaltungen.

Schloss und Park Altenstein, 2019,
Foto: Schatzkammer Thüringe, Marcus Glahn

Wie finden die Ergebnisse ihren Weg in den Garten?

Hagner: Dafür sind Regiebetriebe der Königsweg. Hier können wir mit den Gartenfachkräften vor Ort Strategien entwickeln und auf neue Erkenntnisse unmittelbar reagieren. Und Regiebetriebe sind der Garant für einen entscheidenden Faktor in der Gartendenkmalpflege – Kontinuität. Wo über lange Zeit Erfahrungswissen aufgebaut werden konnte, nehmen die Kolleginnen und Kollegen Veränderungen wahr und können reagieren.

Herzogliche Orangerie Gotha, 2020,
Foto: Schatzkammer Thüringe, Marcus Glahn

In welchem Bereich ist das besonders wichtig?

Hagner: Am sensibelsten geht es in der Orangerie zu, bei der Pflege der Kübelpflanzen, die eigentlich nicht für ein mitteleuropäisches Klima gemacht sind. Ein gutes Beispiel sind aber auch Bäume und Gehölze. Wer sich kontinuierlich um einen Baumbestand kümmert, baut eine Beziehung dazu auf und kennt die lokalen Faktoren, die darauf Einfluss haben. Das hat in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen, seit sich die Folgen des Klimawandels gravierend auf die Gartendenkmalpflege auswirken. Wenn wir rechtzeitig feststellen, dass ein Baum verlustgefährdet ist, können wir genetisches Material sichern, um später Standort- und sortengetreu nachpflanzen zu können.

Simon: Durch den Klimawandel verändert sich auch das Tätigkeitsbild in den Parks und Gärten. In den letzten Jahren spielt der Umgang mit Totholz eine massiv zunehmende Rolle. Die Sicherungen und oft auch unvermeidbaren Fällungen können wir selbst mit einem Regiebetrieb nicht allein bewältigen. Das sind typische Aufträge an Fachfirmen, mit entsprechendem Finanzbedarf. Wir konzentrieren uns darauf, möglichst viele Bäume und Sträucher zu erhalten und resilient zu machen, etwa durch Wässern und Bodenverbesserung. Auch dazu gibt es Forschungsprojekte mit Fachkollegen in ganz Deutschland, die sich unmittelbar in unseren gartendenkmalpflegerischen Ansätzen und in der täglichen Arbeit im Garten niederschlagen.

„Gehst Du in den Garten, vergiss die Säge nicht!“, lautet ein geflügeltes Wort. Was macht ein Regiebetrieb mit der Säge anders?

Hagner: Historische Gärten sind Kunstwerke mit lebendem Material. Die ständige Veränderung ist also gewissermaßen konstitutiv – durch die Jahreszeiten, aber auch durch Wachstum und Alterung. Die Gartendenkmalpflege hat die Aufgabe, gartenkünstlerische Ideen zu erhalten und sichtbar zu machen. Die Säge kommt zum Beispiel zum Einsatz, um Sichtachsen freizuhalten. Und die muss man ebenso wie bewusst komponierte Gehölzränder und -höhen genau kennen, um sie der Idee entsprechend wirken zu lassen. Auch das ist Erfahrungswissen, das man in keinem Plan festhalten kann.

Simon: Ähnlich ist es bei den Rasen- und Wiesenflächen. Sie müssen in ihren Konturen erhalten werden und werden unterschiedlich gepflegt – manche werden als artenreiche Blühwiesen nur zweimal im Jahr gemäht oder beweidet, andere als fein modellierte Zierflächen sehr häufig gemäht. Auch dabei geht es nicht nach Kalender, sondern nach ästhetischem Anspruch und Notwendigkeit in Bezug auf die aktuelle Witterung. Ein Regiebetrieb schafft dabei die notwendige Flexibilität bei der Ausführung bestimmter Arbeiten. Ein weiteres Beispiel sind die Wege. Sie müssten intensiv gepflegt werden, sonst verändern sie ihre Form und manchmal sogar ihren Verlauf. Ihre Bearbeitung setzt das Verständnis ihrer Funktion im Gartenkunstwerk voraus.

Fürstlich Greizer Park, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

Welche Ausstattung braucht ein Regiebetrieb?

Simon: Die Anforderungen an einen Betriebshof bestimmt letztendlich das Gartendenkmal. Wo Pflanzen für den Wechselflor selbst gezogen werden, sind Gewächshäuser unverzichtbar, wo viele Bäume stehen, braucht man Traktoren, für schmale Wege wendige Fahrzeuge. Handgeführte Maschinen sind aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken. Und natürlich werden Büro-, Aufenthalts- und Werkstatträume gebraucht.

Hagner: Als Trend zeichnet sich ab, dass Aufgaben weniger als bisher ausgelagert werden. Dafür müssen Platz und Ausstattung vorhanden sein. Das Vermehren und Ziehen von Pflanzen selbst zu erledigen, hat beispielsweise viele Vorteile, zumal die Zahl der regionalen Anbieter in den letzten Jahren geringer geworden ist. Vor Ort genetisch vermehrte Bäume haben bessere Überlebenschancen als von fernen Standorten eingekaufte. Kurz: Ein gut ausgestatteter Betriebshof ist das Rückgrat des Gartendenkmals. Denn wir erhalten nicht nur das Kunstwerk, sondern durch die tägliche Arbeit auch die damit verbundenen historischen Technologien und Fertigkeiten.

Interview: Franz Nagel