Filigrane florale Motive entfalteten einst ihre Wirkung an den Wänden von Schloss Altenstein. In langen Bahnen zogen sich Blüten- und Rankenornamente von den Holzvertäfelungen bis zu den Kassettendecken hinauf. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zierten die Tapetenbahnen zwei der repräsentativsten Räume der Sommerresidenz – den Festsaal und das Treppenhaus.
Ab 1888 ließ Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen sein Sommerschloss auf dem Altenstein in Bad Liebenstein zum Neorenaissanceschloss umbauen. Während die Schlossarchitektur fortan von Londoner Herrenhäusern inspiriert war, wurden die Wände von schottischen Tapeten geziert. Bei der Sanierung des Schlosses wird im Rahmen eines besonderen Restaurierungsprojekts jetzt die historische Wandzierde wiederhergestellt.

Durch einen Großbrand ging die Innenausstattung von Schloss Altenstein 1982 verloren. Bis auf die Außenmauern brannte das Schloss damals aus. Die Wiederherstellung währte Jahrzehnte, nun kann die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten in ihrem Sonderinvestitionsprogramm I binnen kurzer Zeit die Sanierung abschließen. Die Innenräume der Sommerresidenz befanden sich bis vor Kurzem noch im Rohbau. Vieles läuft dort gerade parallel. Während die Sanierung des historischen Küchenbaus hinter dem Schloss fast abgeschlossen ist und im Schloss an der Haustechnik und dem Innenausbau gearbeitet wird, geht es in der Restauratorenwerkstatt filigran zu, hier entstehen die Tapeten für den Festsaal und das Treppenhaus von Schloss Altenstein neu.
Foto: STSG, Tino TrautmannIn 15 Arbeitsschritten zur Tapetenbahn
Für das Wiederherstellungsprojekt bahnt sich rund 200 Kilometer entfernt vom Altenstein Feines an – in der Restauratorenwerkstatt in Meuselbach entstehen die Tapetenbahnen für den Festsaal und das Treppenhaus von Schloss Altenstein neu.

Dass das möglich ist, ist einem Glücksumstand zu verdanken: Zwar wurden die Tapeten durch einen Schlossbrand 1982 zerstört, allerdings hat sich ein Stück der Festsaaltapete auf dem Einband eines alten Fotoalbums erhalten. Das aufschlussreiche Fragment der originalen Lincrusta-Tapete war hilfreiche Grundlage für das Wiederherstellungsprojekt und wurde von den Restauratoren dafür genau unter die Lupe genommen.
Die Untersuchungen zeigten, dass die Tapete optisch Leder imitiert, aber eigentlich aus Leinwand besteht und mit einer Papierlage hinterlegt ist. Beide Schichten wurden zusammen geprägt. Das florale Musterrelief entstand durch eine Walzenprägung. Bei der Betrachtung im Streiflicht treten die Höhen und Tiefen des Reliefs im Muster noch deutlich hervor. Auch die Struktur der Leinwand ist noch ablesbar. Durch eine dünne Schicht Messing wurden die Blüten und Blätter des Musters betont und hoben sich dadurch vor einem Grund in sattem Rot noch einmal mehr ab.
Foto: STSG, Gydha MetznerAuch der Herkunft der Tapeten gingen die Restauratoren nach. In Schottland produziert, finden sich in den alten Musterbüchern der Firma Scott Morton & Tynecastle Tapestries – die heute nicht mehr existiert – auch die Prägemuster vom Altenstein noch.
Prägemodel
Für die Wiederherstellung wurden zunächst in einer Holzwerkstatt von Hand Reliefplatten gefertigt. Lücken im Rapport konnten Dank der Musterbücher aus dem 19. Jahrhundert vervollständigt werden. Die Reliefs wurden dann auf eine Holzplatte aufgebracht und dienten als Holzmodell zum Abguss einer Positiv- und Negativplatte. Prägemodel wurden auf diese Weise geschaffen.
Mit dem Beitel arbeitete der Bildschnitzer Blätter und Blüten des Altensteiner Tapetenmotivs aus dem Holz heraus. Eine besondere Manufakturarbeit, die kein Druck- oder Fräsverfahren ersetzen kann.
Foto: Werkstatt Arnold HolzknechtPrägeprozess
In der Restauratorenwerkstatt wurde dann der Prägeprozess erprobt. Anstelle von Walzen kommen heute dabei die Prägemodel zum Einsatz. Jede Leinwandbahn wird zunächst grundiert und über die gesamte Bahn eine dünne Schicht Schlagmetall – aus Messing als Ersatzgold – aufgebracht.

Gold gehört noch heute zu den wertvollsten Materialien, wollte man in früheren Zeiten darauf zu erschwinglichen Preisen in Kunst und Kunsthandwerk nicht verzichten, griff man auch auf Schlagmetalle wie Messing zurück. In der Malerei kamen auch Pigmente wie Neapelgelb zum Einsatz.
Foto: STSG, Uta KolanoIn der Furnierpresse folgt dann in mehreren Stufen die Prägung. Dabei wird auch hier von Hand gearbeitet, mit jeder Menge Muskelkraft und einer Handkurbel. Rund dreimal wird pro Bahn das Prägemodel angesetzt und so das Muster hergestellt.


In einem weiteren Schritt wird der Hintergrund in Rot gefasst. Jede Bahn erhält zudem eine künstliche Patina und wird durch Schellack versiegelt.

Anbringung
Angebracht werden die Tapetenbahnen, wie schon zu herzoglichen Zeiten, mit dünnen Nägeln. Auch hierbei ist wieder Detailarbeit gefragt, jede Kante und jeder Nagel wird noch einmal farbig überfasst.

Nicht nur Kunstvolles, auch die Liebe zum Detail war Herzog Georg II. bei der Ausstattung von Schloss Altenstein sehr wichtig – wie zahlreiche Briefe und Skizzen aus der herzoglichen Feder zeigen, stand er nicht nur in engem Kontakt zu seinen Baumeistern, er mischte auch gerne bei den Feinheiten mit. Dass seine kunstvollen Bahnen in seine – wie man sagt – liebste Sommerresidenz jetzt zurückgekehrt sind, hätte ihn bestimmt erfreut.
Anke Pennekamp