Zeichen einer Reformbewegung am Kloster Paulinzella

Eine Nase macht Schule

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Als 1107 der Mönch Gerung als Abt aus dem Kloster Hirsau im Schwarzwald nach Thüringen kam, brachte er Reformkonzepte mit – und Nasen.

Kurz nach 1100 hatte sich die Adelige Paulina am Nordhang des Thüringer Waldes mit Gleichgesinnten niedergelassen und eine religiöse Gemeinschaft gegründet. Mit der Ankunft von Abt Gerung 1107 wurde das bald nach seiner Gründerin benannte Kloster zu einer Filiale Hirsaus. Damit verbunden war eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Benediktinerordens, die auch in den Kirchenbauten sichtbar werden sollte. In Hirsau hatte man das einige Jahre vorher erprobt, nun machte es Schule.

Blick in die Ruine der Klosterkirche Paulinzella,
Foto: STSG, Wolfgang Werner

Analog zum Reformgedanken des Vereinfachens ging es auch beim Bauen um ein schlichtes Erscheinungsbild und eine Raumgliederung, die den liturgischen Vorstellungen der Mönche entsprach und ihren Gottesdiensten eine maßgeschneiderte Raumstruktur bot. Mönchische Reformbewegungen ergaben sich mehrfach während des Mittelalters aus der Erkenntnis, dass sich die Kirche und vor allem das Leben in den Klöstern zu weit von den Ursprüngen und Regeln entfernt hatten. Der Benediktinerorden als ältester Orden, basierend auf der Regel des Heiligen Benedikt, stand dabei oft im Mittelpunkt. Aus seinen Reihen entstanden mehrere wirkungsvolle Reformbewegungen, die sich gegen Verweltlichungs- und Dekadenzerscheinungen richteten und die Benediktsregel zum Maßstab machten.

Eines dieser Reformzentren war das Kloster Hirsau. Aber auch die Hirsauer Mönche hatten die Ideen für die Klosterreform und ein davon geprägtes Bauen nicht allein entwickelt, sondern sich weiter westlich orientiert. Ihre Kirche St. Peter und Paul hatten sie am Ende des 11. Jahrhunderts nach dem Muster der Klosterkirche von Cluny in Burgund gebaut, von wo sie auch wesentliche Teile ihrer Reformvorstellungen übernahmen.

Klosterkirche Paulinzella, Foto: STSG, Wolfgang Werner

Ideelles und Bauliches brachten Gerung und seine ebenfalls aus Hirsau entsandten Nachfolger mit nach Paulinzella. Beim Bau der Kirche machte sich das in vielerlei Hinsicht bemerkbar. Schon die Qualität der handwerklichen Ausführung mit exaktem Quadermauerwerk und fein ausgearbeitetem Bauschmuck stach hervor. Das Ergebnis ist eine schlichte Monumentalität. Aber auch in ihrer Raumaufteilung bildet die Kirche die Vorstellungen der Reformmönche ab. Es gibt einen Chorbereich mit mehreren hierarchisch gestaffelten Apsiden für Altäre und eine Vierung mit Platz für die Mönche, die den Gottesdienst feierten. Daran schließt sich ein Bereich für die Mönche an, die aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht aktiv mitwirken konnten. Erst danach befand sich der Bereich für die Laien, die von den Mönchen durch einen Lettner abgeschrankt waren. Der Lettner ist zwar in der heutigen Kirchenruine nicht mehr vorhanden, aber die rechteckige Grundform der beiden Arkadenpfeiler zeigt diesen Bereich deutlich an – der Laienbereich ist durch runde Säulen abgesetzt.

Würfelkapitell in der Klosterkirche Paulinzella, Foto: STSG, Tino Trautmann

Neben charakteristischem Grundriss und herausragenden baumeisterlichen Fähigkeiten zeichnet der motivisch zurückgenommene, dafür aber in der Formgestaltung ausgefeilte Bauschmuck die von Hirsau beeinflussten Kirchen aus. Würfelkapitelle gehören zu den dafür gewählten Formen. Oft sind als Schmuck nur einfache oder etwas gestaffelte Halbkreisformen reliefartig herausgearbeitet. An diesen Kapitellen findet sich ein winziges Detail, das untrüglich die Verbindung nach Hirsau herstellt: An den oberen Ecken weist stets ein kleiner Zacken nach unten. In der Kunstwissenschaft als Hirsauer Nase bezeichnet, kennzeichnet dieses leicht zu übersehende Element viele unter dem Einfluss des Schwarzwälder Reformzentrums entstandene Kirchenbauten. Als subtile Signatur findet es sich zum Beispiel auch an Schildkapitellen im Kloster Thalbürgel wieder. Dessen Bau schufen nach 1133 Mönche aus Paulinzella, das inzwischen als klösterliches Zentrum etabliert war und selbst Strahlkraft entfalten konnte.

Franz Nagel

Derzeit ist die Klosterkirchenruine Paulinzella wegen Sanierungsarbeiten nicht zugänglich. Das Museum für Kloster-, Forst- und Jagdgeschichte im Jagdschloss ist von März bis Oktober geöffnet. In der Saison lädt auch ein neuer Multimediaguide zum Entdecken der Anlage ein.


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