Von weitem wirkte er gülden, der Turmknopf – umgangssprachlich auch Turmkugel genannt – auf dem Pallasturm der Burg Weißensee. Doch als man ihn abnahm, wurde sichtbar: alles Täuschung. Er ist schlicht mit gelber Farbe angestrichen. Die stammt vermutlich aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Turmknopf und Zeitkapsel
Traditionell beinhalten die meisten Turmknöpfe Kapseln mit Zeugnissen der lokalen Geschichte. Immer wenn ein Turmknopf aufgesetzt, abgenommen, geöffnet, erneuert und wieder aufgesetzt wird, gibt man Zeugnisse und Chroniken der jeweiligen Zeit zum Vorgefundenen. Das ist der eigentliche Schatz in Turmknöpfen, die so über Jahrhunderte hinweg vom Alltagsleben vor Ort künden.
Das letzte Mal war der Turmknopf der Burg Weißensee 1982 geöffnet worden. So finden sich denn auch reichlich Zeitzeugnisse aus jenem Jahr in der Kapsel. Allen voran eine handgeschriebene Chronik, verfasst in akkurater Handschrift, mit wesentlichen Hinweisen auf die frühere Geschichte der Turmkugel. Für 1982 ist als wichtige Wegmarke festgehalten: „Dank dem Interesse unseres sozialist. Staates an der Erhaltung und Pflege des kulturellen Erbes […] wurde die Runneburg als wertvolles Denkmal romanischer Bauweise in die Bezirksdenkmalliste eingeordnet.“ Von 1976 bis 1982 wurden der Chronik zufolge 800.000 Mark für Stabilisierungen und erste Wiederherstellungsmaßnahmen eingesetzt. 1982 wurden die morsch gewordene Schalung und die Dachdeckung des Turms erneuert – Anlass für die Öffnung des Turmknopfs. Anhand der Beigaben im Turmknopf zeigte sich dabei, dass er außerdem 1868/69, 1882 und 1923 geöffnet, bearbeitet und gefüllt worden war.
Der Turmknopf enthielt auch Prospekte und eine Silbermedaille von der 750-Jahr-Feier der Stadt Weißensee im Jahr 1962. Die silberfarbene Medaille besteht aus Aluminium.
Foto: STSG, Uta Kolano1882 wurde laut Chronik der Knopf samt Wetterfahne und Dacheindeckung erneuert, nachdem ein Blitzschlag das Dach der Turmhaube verwüstet hatte. Die Materialanalyse heute ergab, dass der Werkstoff für den Knopf – sogenanntes Garkupfer – tatsächlich aus jener Zeit stammt. Im Unterschied dazu ist die Wetterfahne aus einem Werkstoff gearbeitet, den es erst im späteren 20. Jahrhundert gab: Edelstahl.
1982, 1923, 1882, 1869
In der Chronik von 1882 steht zu lesen, dass „Gewitter und starkes Regenwetter […] in vielen Gegenden beträchtlichen Schaden angerichtet“ habe. Die Aussichten auf gute Ernten seien „getrübt“. Dafür ging es mit der verkehrstechnischen Erschließung der Stadt Weißensee voran: „Seit 1874 hat unsere Stadt Bahnverbindung mit Soemmerda resp. Straußfurt durch die Saal-Unstrut Bahn, welche im Jahre 1875 eröffnet wurde.“ Außerdem wurde der unbefestigte Weg nach Scherndorf als Straße ausgebaut. Wohlweislich wurde am 1. August „der Blitzableiter auf dem Thurm und Schloß angebracht.“
Die Chronik aus dem Jahr 1868/69 enthält ebenfalls Hinweise auf Wetterunbilden. „In Folge des heftigen Sturmwindes am 7. Dezember 1868, wo viele Gebäude, Wälder und Schiffe beschädigt wurden, ist auch dieser Thurm, wenn auch nicht sehr bedeutend, heimgesucht worden.“
Palasturm mit Gerüst. Der Turmknopf wird gerade in der Kunstschmiedewerkstatt Gerhardt in Knau restauriert.
Foto: STSG, Uta KolanoIn der Chronik aus dem Jahr 1923 ist vor allem die grassierende Inflation das bestimmende Thema. Es „ist das Jahr, in welchem […] Deutschland die große wirtschaftliche Katastrophe erlebte. Die Mark ist wertlos geworden. Der Dollar, unser Wertmesser, steht heute auf 185 Millionen Mark. […] Die Preise aller Lebensmittel sind im Steigen begriffen. Die Stundenlöhne der Dachdecker und Zimmerleute betragen 34.000.000 M. bis 35.000.000 Mark. […] Beim Einlegen dieser Urkunde ist der Dollar bereits auf 1.200.000.000 M gestiegen. […] Ein Pfund schlechtes Brot kostet 4.000.000 Mark. Ein Pfund reines Roggenbrot kostet 10.000.000 Mark.“ Von der Super-Inflation künden auch die Geldscheine, die in die Kugel eingelegt wurden. 5 Millionen zählt die höchste Summe auf einem Schein.
Auf vielen der beigelegten Geldscheine von 1923 sind auf der Rückseite handschriftliche Notizen zu finden – Ausdruck davon, dass das Geld zu diesem Zeitpunkt nichts mehr wert war. Ein Kommentar lautet: „Es ist eine traurige Zeit in der Republik“.
Foto: STSG, Uta KolanoAufschlussreiche Zahlen
Überhaupt kann man dank Zeitkapseln in Turmknöpfen gut allgemeine Entwicklungen vergleichen. 1869 lebten in Weißensee 2875 „Seelen“, 1882 gab es 2654 Einwohner, 1982 wurden 3.895 Einwohner gezählt. 1868/69 kostete ein Scheffel Weizen 2 Reichstaler und 15 Groschen. 1882 bekam man 100 Kilo Weizen für 23,23 Mark. 1923 kostete ein Zentner Weizen unglaubliche 300.000.000 Mark. Für 1982 sind leider keine Lebensmittelpreise vermerkt. Wer die damalige Zeit als Konsument erlebt hat, könnte rückblickend beitragen, dass ein 3-Pfund-Brot 1,20 DDR-Mark kostete.
Uta Kolano