Raumillusionen mit Pinsel und Farbe

Täuschung auf Bestellung

AllgemeinDenkmalpflegeKulturgeschichte
Scheinbar Unerreichbares unmittelbar erleben – das ist das Versprechen moderner Technologien, die mit Spezialbrillen und Projektionen digital erschaffene Räume zugänglich machen. Der Wunsch, die Wirklichkeit um Unwahrscheinliches und manchmal auch unglaubliches zu erweitern, ist aber viel älter. Lange war dafür die Malerei das wichtigste Medium.

In den Schlössern des Barockzeitalters loteten Bauherren und Künstler die Möglichkeiten analoger 3D-Effekte aus. Im Unterschied zu heutigen interaktiven Räumen funktionieren die gemalten Illusionen aber meist nur von einem festen Standort aus.

Deckenmalerei im Münzkabinett von Schloss Friedenstein in Gotha,
Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Mit der Anwendung der Zentralperspektive – wiederentdeckt in der Renaissance – konnte die Malerei glaubhafte Räume schaffen und die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit verwischen. Und das auch nach oben. Im Münzkabinett auf Schloss Friedenstein in Gotha setzen sich beispielsweise die Stuckgesimse im Deckengemälde fort, dazwischen öffnet eine Balustrade den Raum zum Himmel. Figuren schweben auf Wolken, es sind die Personifikationen von Afrika und Amerika mit begleitenden Gestalten. Zusammen mit Europa und Asien im benachbarten Feld vereint die Raumdecke also die vier Erdteile. Wer nach oben blickt, findet sich in einem metaphorisch erweiterten Raum wieder.

Deckenmalerei im Treppenhaus von Schloss Molsdorf bei Erfurt, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Besucher von Schloss Molsdorf wurden gleich im Treppenhaus in ein Wechselspiel aus Realität und Mythologie entführt. Die Decke über der Treppe ist per Malerei zum Himmel geöffnet. Dort bestraft Venus den Amor, der durch einen Pfeilschuss auf Apoll für Ärger in der Götterwelt gesorgt hatte. Eingefasst sind die auf einer Wolke schwebenden Figuren durch eine gemalte Balustrade, auf der Vasen mit Pflanzen stehen – ähnlich den Urnen auf dem realen Treppengeländer.

Buffetzimmer im Schloss Molsdorf mit feuriger Illusion, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Das Spiel mit der Täuschung konnte auch Alltagsgegenstände einbeziehen. In Schloss Molsdorf löste man damit ein ästhetisches Problem. In das dortige Büffetzimmer ragt die Rückseite des Kamins hinein, der im Saal in die Wand eingelassen ist. Kurzerhand erhielt der Kamin auch auf seiner Rückseite das Erscheinungsbild eines Kamins, flackerndes Feuer und das beiseitegelegte Kaminbesteck inklusive.

Illusionistische Malerei im Festsaal von Schloss Heidecksburg in Rudolstadt, Foto: STSG, Constantin Beyer

Im Festsaal von Schloss Heidecksburg haben Architekt, Stuckateur und Maler das Verwechslungsspiel auf die Spitze getrieben. Hier überlagern sich realer und gemalter Stuckmarmor, echte und vorgetäuschte Architekturelemente. In einer Emporennische halten auf einer in den Raum quellenden Wolke die Personifikationen von Musik und Malerei ein Medaillon mit dem Porträt des Fürsten. Das wie ein Relief wirkende Bildnis ist gemalt, sein ovaler Rahmen jedoch stuckiert und vergoldet. Die darunter stehenden Figuren sind wie Skulpturen einfarbig gehalten, bewegen sich jedoch, als seien sie lebendig.

Schloss Wilhlemsburg in Schmalkalden wartet mit illusionsreichen Rahmungen auf, Foto: STSG, Constantin Beyer

Lange vor den barocken Raffinessen entstanden auf Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden um 1600 in großer Zahl Wandmalereien, denen man die Freude am Fabulieren förmlich ansieht. Vor allem die Türen sind mit Architekturillusionen eingefasst, um die sich in großer Leichtigkeit Bögen, Bänder, Vasen, Tiere, Pflanzen und vieles mehr gesellen. Die filigranen Bilder bedienen die Schaulust und die Freude am Kuriosen, sind aber zugleich auch schmückende Elemente, die dem Schloss und seinen Räumen Pracht verleihen.

Deckenmalerei im Vorzimmer des Erbprinzengemachs von Schloss Friedenstein Gotha, Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Architektonische Pracht ließ sich mithilfe der Malerei nahezu unbegrenzt entfalten, wo der reale Raum an Grenzen gebunden war. Im Vorzimmer des Erbprinzengemachs auf Schloss Friedenstein öffnet sich im zentralen Oval der Stuckdecke der Blick in eine gemalte Kuppel, durch deren runde Öffnung eine Wolke mit der Jagdgöttin Diana hereindringt. Ihr folgt in einigem Abstand und deshalb etwas kleiner Jupiter. Aus den Seitenbögen schauen Putten auf den Betrachter herab. Die Kuppel selbst hat der Maler monochrom ausgeführt und Stuckaturen fingiert.

Römisches Zimmer im Schloss Sondershausen, Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn

 
An der Schwelle vom Barock zum Klassizismus entstand das Römische Zimmer in Schloss Sondershausen. Sämtliche Gliederungen, Architekturelemente, Reliefs und Stadtansichten sind hier auf ein und dieselbe Leinwandfläche gemalt. Für die Unterscheidung der verschiedenen Bildebenen sorgen Farbnuancen – während die Raumillusion von Grau und Rosa bestimmt ist, sind die gemalten Reliefs unter dem Deckensims und über den Türen gelblich gehalten. Davon in einem blaugrünen Ton abgesetzt sind Ansichten der Stadt Rom, die wie gerahmte monochrome Gemälde wirken.

Franz Nagel


Fragen oder Feedback? Schreiben Sie uns.


Verwandte Artikel