Neben den Säulen der ehemaligen Klosterkirche Paulinzella liegt die Wartburg, der Hausmannsturm der Weimarer Bastille wird von den Arkaden von Schloss Friedenstein in Gotha und der Wasserburg Kapellendorf flankiert – die Tische in der Reithalle von Schloss Heidecksburg sind prall gefüllt, in Mappen feinsäuberlich sortiert ruht der reiche Zeichenschatz. Residenzschlösser, Burgen, Ruinen, Wohnhäuser, Stuckdetails und Stadtansichten, um nur einige zu nennen, umfasst die Motivauswahl der Zeichnungen, die internationale Baugeschichte von der Antike bis zum Bauhaus einfangen. Runhild Wirth und Doris Fischer beugen sich über die leicht vergilbten Blätter und vertiefen sich in die Details. Nicht selten sind die Zeichnungen auch mit kurzen Kommentaren oder tagebuchartigen Kurzkommentaren versehen. Der Zeichenstil variiert von Bleistiftzeichnungen mit wenigen Strichen zackig zu Papier gebracht über stimmungsvolle Aquarelle bis zur detailreichen New Yorker Skyline.
Mit Detailreichtum aus imposanter Perspektive fing Wirth die Ansicht des Weimarer Residenzschlosses von den Arkadenbögen bis zum Schornstein ein.
Zeichnung: Hermann Wirth, Residenzschloss Weimar, Bildarchiv STSGIn New York brachte Wirth im Oktober 1996 eine Ansicht der Manhattan Bridge von der Brooklyn Bridge aus zu Papier.
Zeichnung: Hermann Wirth, Blick auf die Manhattan Bridge, Bildarchiv STSGSchon als Jugendlicher fand der 1940 geborene Hermann Wirth durch einen Zeichenkurs zu eigenem Kunstschaffen. Nach einer Baulehre absolvierte er ein Ingenieursstudium an der Hochschule für Architektur und Bauwesen (der heutigen Bauhaus-Universität) in Weimar und wirkte dort von 1992 bis 2005 als Professor für Bauaufnahme und Baudenkmalpflege. Zahlreiche in Thüringen und darüber hinaus tätige Architektinnen und Architekten haben von seinen Kenntnissen und Methoden profitiert. Auch das Freihand-Zeichnen spielte dabei eine entscheidende Rolle.
Das Konvolut mit rund 5.000 Zeichnungen aus dem Nachlass ihres 2019 verstorbenen Vaters übergab Runhild Wirth nun an die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Die Zeichnungen entstanden auf Reisen und Studienexkursionen und zeigen vorrangig Architekturmotive aus Thüringen, Deutschland und Europa. „Für meinen Vater war das Zeichnen ein Mittel zum genauen Beobachten“, erinnert sich Wirth. „Durch das Zeichnen hat er Bauwerke genau studiert und sich dabei ein enormes Bildgedächtnis geschaffen. Es ist eine besondere Art der Aneignung des Gesehenen. Die Zeugnisse dieser Arbeitsweise möchte ich gern in einer öffentlichen Institution für die Nachwelt zugänglich machen und freue mich, dass die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten die Sammlung im Ganzen übernimmt.“
STSG-Direktorin Dr. Doris Fischer ist begeistert: „Die Zeichnungen sind ein echter Schatz. Und das nicht nur, weil sie von einer anerkannten Koryphäe der Denkmalpflege stammen. Sie sind auch in ihrer Qualität bestechend. Wie Wirth mit leichter Hand Perspektive, Proportionen und Details sicher und genau zu Papier bringt, ist frappierend. Viele der Zeichnungen nehmen das kulturelle Erbe Thüringens in den Blick und sind deshalb für uns besonders interessant. Wir freuen uns sehr über die Sammlung und möchten in den nächsten Jahren Teile davon in Kabinettausstellungen der Öffentlichkeit präsentieren.“
Schloss Altenstein hielt Wirth nach dem Schlossbrand 1982 – bei dem die Innenausstattung des Neorenaissancebaus zerstört wurde – ohne Dach fest. Die ebenso stimmungsvolle wie detailreiche Schlossansicht zeigt die markanten geschwungenen Fenstererker – Bow Windows genannt – und Dutch Gables des historistischen Schlossbaus, der nach dem Vorbild englischer Herrenhäuser entstand.
Von weitem ist Kloster und Schloss Mildenfurth festgehalten. Die Bauten der ehemaligen Klosterkirche, die nach der Säkularisation in den Besitz von Matthes von Wallenrod überging und um 1556 zum Schloss aufgestockt und umgebaut wurden, sind gut zu erkennen.
Mit kräftigen Strichen ist auch das Hauptgebäude von Schloss Schwarzburg in einer Zeichnung zu Papier gebracht. Auf der Schlossansicht von 1959 ragt noch die Turmhaube des Schlossturms über dem Hauptgebäude hervor. In der Sylvesternacht von 1980 auf 1981 ging die Haube mit Fernwirkung bei einem Brand verloren. Auch die Spuren eines begonnen und später abgebrochenen Umbaus des Barockschlosses zum Reichsgästehaus unter den Nationalsozialisten in den 1940er Jahren sind an der Fassade ablesbar.
Weitere Zeichnungen halten auch schmuckvolle Ausstattungsdetails fest. Dazu gehören beispielsweise die prachtvollen gemalten Türrahmungen auf Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden, wie auch schwungvolle Stuckdetails.
Hellebadier, der den Eingang zum Riesensaal auf Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden bewacht.
Zeichnung: Hermann Wirth, Schloss Wilhelmsburg Schmalkalden, Bildarchiv STSGDer künstlerisch wertvolle Zeichenschatz ist nicht nur ästhetisch ein Genuss, er erzählt auch Schlossgeschichte und Geschichten – für die Denkmalpflege ein ebenso wichtiges Pfund.
Anke Pennekamp