In Gotha wurden im Mai 2024 rund 70 ganz besondere Greizer Linden eingeschult, Ende nächsten Jahres sollen sie in große Fußstapfen treten. Die jungen Linden werden Lücken in der Seufzerallee im Fürstlich Greizer Park schließen. Dazu wurden Reiser von alten Bäumen der Allee in einer Gothaer Baumschule auf Lindensämlinge veredelt. Die Sämlinge stammen aus der Region und wurden bei einer Forstbaumschule des Staatsbetriebs Sachsenforst bezogen.
Familienbande
Durch die Veredelung kann das genetische Material der Seufzerallee erhalten werden. In der Gartendenkmalpflege ist es bei besonderen Baumexemplaren üblich, bei Nachpflanzungen mit vorhandenem Genmaterial vom gleichen Standort zu arbeiten. Die Experten setzen dabei auf junge Pflanzen, die sich, von klein auf am Standort großgezogen, dem Park und veränderten Klimabedingungen besser anpassen können. Einfach auf andere Baumarten auszuweichen, ist in den historischen Garten- und Parkanlagen nicht so einfach möglich. Die historischen Parkbilder gehören zu den prägenden Gestaltungselementen der lebendigen Gartenkunstwerke. Sie leben von authentischen Pflanzenkombinationen. Wenn sie auch natürlich gewachsen wirken, so wurden die Parkbilder bewusst komponiert. Stammwuchs, Kronenformen und Laubfarben wurden einst mit Bedacht ausgewählt. Durch die Anordnung der Bäume, ob als Solitär oder Gruppen, wurden Vorder- und Hintergründe, Proportionen und Tiefenwirkung in die Natur gemalt.
Seite an Seite prägt Tilia cordata Mill., die Winter-Linde, seit rund zwei Jahrhunderten die Seufzerallee im Fürstlich Greizer Park. „Als Alleebäume sind sie ganz besonders bevorzugt“, schrieb schon der Gärtner und Gartengelehrte Hermann Jäger 1865 über die Winter-Linde in seinem Werk „Die Ziergehölze der Gärten und Parkanlagen“. Als sogenannte „bedeckte Allee“ war das Kronendach der Bäume über dem Weg einst dicht geschlossen.
Heranwachsende Linden in der Baumschule Pomona in Gotha, Foto: Baumschule Pomona, GothaBereits 2005 und 2015 folgten auf Untersuchungen der über 200 Jahre alten Linden der Seufzerallee umfangreiche Baumpflegemaßnahmen, mit denen aus Gründen der Verkehrssicherung auch Kronenrückschnitte notwendig wurden. Die Ende 2025 anstehenden Nachpflanzungen werden durch das Programm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen ermöglicht und stehen im Kontext des Projekts „Revitalisierung des Greizer Parksees“. Die jungen Linden, die gerade in der Baumschule in Gotha heranwachsen und gehegt und gepflegt werden, werden rund 30 Lücken in der Seufzerallee schließen.
Im Zuge des vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung geförderten Projekts „Revitalisierung des Greizer Parksees“ wird der 8,2 Hektar große Parksee entschlammt. Dafür wird der See mit Saugvorrichtungen von Ablagerungen befreit, die sich in den vergangenen 150 Jahre aufgebaut haben. Im Herbst 2024 wird der See dann abgelassen und damit die Voraussetzung für die Sanierung wesentlicher Uferbereiche in 2025 geschaffen. Das Projekt ermöglicht zugleich die ökologische und gartenkünstlerische Wiederherstellung des Parksees.
Amphibienfahrzeug mit Saugrüssel auf dem Greizer Parksee, Foto: STSG, Mario MännelEin Stück frühe Parkgeschichte
Die Seufzerallee ist rund 500 Meter lang. Sie liegt mitten in der historischen Parkanlage und säumt einen Abschnitt des Wegs zwischen der Weißen Elster und dem großen Parksee. Die Lindenallee entstand Ende des 18. Jahrhunderts, als die vorher barocke Gartenanlage zum weitläufigen Landschaftspark umgestaltet wurde. Eine Besonderheit ist ihr leicht geschwungener Verlauf: In der Übergangzeit vom Barock- zum Landschaftsgarten wurde darin manchmal eine Möglichkeit gesehen die streng formalen Alleen dem neuen „natürlichen“ Gartenideal anzupassen. Die Seufzerallee zählt damit zu den frühesten Gestaltungselementen des Landschaftsparks in Greiz, dessen heutiges Erscheinungsbild im 19. Jahrhundert durch die Gartenkünstler Carl Eduard Petzold und Rudolph Reinecken geprägt wurde.
Der Fürstlich Greizer Park gehört zum Sommerpalais der Fürsten Reuß Älterer Linie, das um 1770 unterhalb ihrer Residenz nach französischen Vorbildern im Stil des Klassizismus entstand.
Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus GlahnDie jüngst eingeschulten Linden werden zukünftig Seite an Seite mit ihren teils über 200 Jahre alten Lindenverwandten stehen und über die Jahrzehnte in ein seltenes Zeugnis europäischer Gartengestaltung vom Ende des 18. Jahrhunderts hineinwachsen.
Anke Pennekamp