Am Höhepunkt der Kleinstaaterei um 1700 regierten in Thüringen bis zu 30 Linien der Ernestiner, Reußen und Schwarzburger gleichzeitig, sie alle hatten ihre Residenzen. Für viele von ihnen gehörte dazu zumindest ein provisorisches Theater. Während im übrigen Deutschland nach 1806 die zahllosen Kleinstaaten zu größeren Territorien zusammengefasst wurden, blieb in Thüringen das Nebeneinander kleiner recht eigenständiger Staaten erhalten. Am Ende der Monarchie 1918 gab es immerhin noch neun davon, jeweils mit eigener Residenzstadt samt inzwischen fest etabliertem Theater. Daneben waren Theater höfischen Ursprungs aber auch in vorher nur zeitweise als Residenz genutzten Städten aktiv geblieben.

Im Lauf des 19. Jahrhunderts hatten sich die Theater zunehmend aus dem unmittelbaren Zusammenhang der Höfe gelöst und waren bürgerlich geprägte Bildungs- und Gesellschaftsinstitutionen geworden, selbst wenn sie noch von den Höfen finanziert waren. Für die Fürstenfamilien gab es in den inzwischen stadtbildprägend errichteten Theatern besondere Plätze, aber eigentlich nahmen sie wie das bürgerliche Publikum an den Aufführungen professioneller Ensembles und Orchester teil. Das war aber nicht immer so.
Theater und höfische Festkultur
Lange Zeit war das Theater eng mit der höfischen Festkultur verknüpft, in der die Herrscher selbst eine tragende Rolle spielten. Ritterspiele, Triumphe, zur Schau abgehaltene Heerlager und thematisch ausgelegte Kostümfeste hatten im 17. und 18. Jahrhundert zum Teil theatralen Charakter, in denen auch das Handeln von Fürstinnen und Fürsten einer Regie folgte. Auch zu festlichen Anlässen wie Geburtstagen kam es häufig zu Theateraufführungen, und nicht selten wirkten dabei Mitglieder der herrschenden Familie ebenso mit wie adelige und bürgerliche Höflinge und Bedienstete. Professionelle Schauspieler waren bis weit ins 18. Jahrhundert in den deutschen Territorien ausschließlich als reisende Theatergesellschaften anzutreffen, die sich mal länger, mal kürzer in Städten und an Höfen aufhielten, um dort ihr Repertoire zu spielen oder bestellte Stücke aufzuführen.
Auch für viele thüringische Höfe ist ein reges Theaterinteresse belegt. Aus Archivalien geht hervor, welche Stücke zu bestimmten Gelegenheiten gespielt wurden und wer daran mitwirkte. Neben mobilen Schauspieltruppen waren an einigen Höfen vor allem der ernestinischen Linien seit dem späten 17. Jahrhundert talentierte Personen in wechselnden Besetzungen, aber auch in festen Gruppen aktiv. Als Dilettanten – ein damals noch positiv besetzter Begriff für ambitioniertes Laientum – wurden interessierte Bürger, Adelige und jugendliche Nachkommen der Regenten herangezogen. Wo es höhere Schulen gab, gehörte das Theaterspielen zum Bildungsprogramm. Dann standen moralisierende und biblische Inhalte im Vordergrund, während zu festlichen Anlässen mythologische Themen unterhaltsam dargeboten werden konnten.

Foto Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
An vielen Höfen erlebte die Theaterkultur kurze Blütezeiten und längere Flauten, abhängig von der Aktivität einzelner Personen. Kontinuität hingegen entwickelte sich beispielsweise am Weimarer Hof des 18. Jahrhunderts unter Herzogin Anna Amalia. Das erste deutsche Hoftheater als Institution mit festem Ensemble entstand allerdings in Gotha. Dorthin war die damals für ihre Qualität hoch geschätzte Seylersche Schauspiel-Gesellschaft gegangen, nachdem ihre längere Zeit genutzte Spielstätte am Weimarer Hof 1774 abgebrannt war. Star dieses Ensembles war Conrad Ekhof, der nun die Qualität des Gothaer Hoftheaters maßgeblich bestimmte. Als er 1778 starb, wurde das Hoftheater wieder aufgelöst, und für Jahrzehnte waren nun wieder Dilettanten die Akteure.
Trendiges Theater mit frischem Wind
Inzwischen war das Liebhabertheater, wie man das Dilettantenschauspiel gern übersetzte, zu einem intellektuellen Trend geworden. Johann Wolfgang Goethe, seit 1775 in Weimar, schrieb Stücke für die Aufführung im Freien, an denen er selbst mitwirkte. Der Inhalt war dabei teils sogar für die Aufführungsplätze im Park an der Ilm und im Schlosspark Tiefurt geschrieben. Auf Schloss Kochberg baute Freiherr Carl von Stein ein freistehendes privates Theater, das er ab 1800 als Liebhabertheater betrieb und an dessen Tradition dort heute Aufführungen nach historischem Vorbild anknüpfen. Explizit für das Liebhabertheater entstand in den 1830er Jahren auch eine kleine Bühne im Nordflügel von Schloss Sondershausen – aber nicht als Ersatz für das Berufstheater, sondern als Ergänzung.
Parallel zum anspruchsvollen Dilettantismus schritt die Professionalisierung des Theaterwesens voran. Zu Goethes Aufgaben in Weimar gehörte ab 1791 die Leitung des Hoftheaters, für das Administrative war ihm ein Hofbeamter an die Seite gestellt. Für Kontinuität und gleichbleibende Qualität sorgte ein festes Ensemble von Berufsschauspielern. Diese Tendenz setzte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts auch an den anderen thüringischen Höfen durch, ohne dass dadurch die Freude an Liebhaberaufführungen geschmälert worden wäre.

Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Bühnen, Kulissen, Technik
Nicht nur das Theaterwesen professionalisierte sich und wurde gewissermaßen sesshaft, auch die Bühnen nahmen eine vergleichbare Entwicklung. Den Anfang machten vielerorts provisorisch aufgeschlagene Bühnen, von denen heute nur noch schriftliche Quellen zeugen. Für die Zeit um 1700 ist auf diese Weise belegt, dass etwa in den Sälen der Residenzschlösser in Sondershausen und Rudolstadt im Zusammenhang mit Festen Theateraufführungen auf Bühnen mit aufwendig gemalten Kulissen und Illuminationen stattfanden, bevor in benachbarten Räumen getafelt wurde. Auch Nebengebäude wie etwa die notwendigerweise großzügig gebauten Reithäuser oder Orangerien boten sich zum Aufbau temporärer Theater an – letztere freilich vorrangig in den Sommermonaten.
Schon früh gab es aber das Bedürfnis, feste Theater in Schlösser einzubauen. Prominentes Beispiel dafür ist das barocke Theater auf Schloss Friedenstein, das heute nach seinem bedeutendsten Akteur Ekhof-Theater genannt wird. Das in den Westturm integrierte Theater selbst ist allerdings fast 100 Jahre älter als die Gothaer Wirkungszeit Conrad Ekhofs. Schon 1682 fanden hier die ersten Aufführungen statt. Zuvor hatte Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg entschieden, in den ursprünglich als Ballhaus – also unter anderem für die namengebenden Ballspiele – eingerichteten, über zwei Geschosse reichenden Saal von stolzen 24 Metern Länge und 11 Metern Breite ein hölzernes Theater einbauen zu lassen.

Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Das Ekhof-Theater war nicht das einzige fest in einen Schlosssaal eingebaute Theater. Aber es ist das einzige erhaltene. Überdauert hat nicht nur die Raumarchitektur mit der Bühne und dem später noch einmal veränderten Zuschauerraum, sondern auch eine besondere Rarität – die ursprüngliche Bühnenmaschinerie mit Kulissenwagen in der Unterbühne für den sekundenschnellen Szenenwechsel, einer versenkbaren Beleuchtungsanlage und der Oberbühne mit Schnürboden und einer Holztrommel für den schnellen Wechsel der den Bühnenraum nach hinten abschließenden Leinwandprospekte.
Barocktheater mit Special Effects
Zu den visuellen Spezialeffekten gesellten sich akustische wie Donner und Wind, die mit polternden Steinen in einem Holzkanal und mit Reibung auf einer leinenbespannten Trommel erzeugt wurden. Die Maschinerie ermöglichte überraschende Verwandlungen und staunenswerte Wendungen, die für die an den Festinszenierungen orientierte barocke Theaterwelt so wichtig waren wie der Inhalt der Stücke selbst. Hinzu kam ein abgetrennter Orchestergraben direkt vor der Bühne. Das so ausgestattete Theater bot beste Bedingungen für Oper und Schauspiel, und die Herzogsloge wurde so platziert, dass sie von leicht erhöhtem Standort die ideale Perspektive auf das Bühnengeschehen erlaubte.

Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Feste Theater gab es in vielen anderen Schlössern, allerdings wurden sie später wieder entfernt. Nur anhand historischer Pläne und Schriftquellen lassen sich solche Einbau-Theater noch lokalisieren, zum Beispiel im Riesensaal von Schloss Sondershausen, im Erdgeschoss des Weimarer Residenzschlosses und im großen Saal über der Schlosskirche von Schloss Elisabethenburg in Meiningen. Prospekte, wandelbare Kulissen, ein fester Platz für das Orchester und Garderoben für die Schauspieler gehörten dabei offenbar zum Standard. Da die Räume ursprünglich nicht als Theatersäle gebaut worden waren, mussten für die speziellen Bedürfnisse manchmal originelle Lösungen gefunden werden – wie etwa Garderobenkabinette in den tiefen Fensternischen des Theatersaals von Schloss Elisabethenburg.
Loslösung der Schlosstheater
Im 19. Jahrhundert zogen die meisten Theater aus den Schlössern aus. Einer der Gründe war die Brandgefahr. Das Bühnengeschehen musste mit offenem Licht beleuchtet werden, bei schauspielerischer Aktivität und beweglichen Lichtquellen konnte das leicht schiefgehen. Anstelle der Theater in den Schlössern entstanden nun freistehende Theaterbauten. Damit verlagerten sich nicht nur die Räume, sondern auch das Theatergeschehen selbst vom Schlossbezirk in den Stadtraum, die Theater konnten von Räumen höfischer Kultur unter bürgerlicher Beteiligung zu Orten bürgerlicher Kultur unter höfischer Förderung werden.

Foto: Schatzkammer Thüringen, Marcus Glahn
Von den in thüringischen Residenzstädten errichteten Hoftheatern des 19. Jahrhunderts hat das in Meiningen 1831 eingeweihte und nach einem Brand 1908 neu errichtete Theater eine besondere Bedeutung erlangt. Allerdings nicht wegen des Gebäudes oder seiner Bühnentechnik, sondern wegen der dort praktizierten Schauspielkunst. Georg II. von Sachsen-Meiningen erwarb sich dabei den Beinamen „Theaterherzog“, denn er leitete das Theatergeschehen, etablierte nach eigenen Prinzipien das Regietheater und kümmerte sich bis ins Detail um Aufführungspraxis, Kostüme und Bühnenbilder. Seine Ausrichtung auf Werktreue, historische Genauigkeit in der Kostümierung und nicht zuletzt seine hohen künstlerischen Ansprüche machten das Hofheater so maßstabsetzend, dass das Ensemble als „Die Meininger“ mit seinen Aufführungen in ganz Europa gastieren konnte.
Was Georg II. als künstlerisch handelnder Herzog zum mustergültigen Kunstbetrieb entwickelte, ist ohne die in den vorausgehenden Jahrhunderten auf den zahllosen thüringischen Hofbühnen gepflegte Theaterkultur kaum denkbar. Und die wirkt bis in die Gegenwart weiter. Auf provisorisch aufgeschlagenen Bühnen, bei Aufführungen in Parkszenerien, in Dilettantentheatern, auf wandelbaren Barockbühnen und in prunkvollen Hoftheatern entstand im gegenseitigen Austausch und sicher dank einer gehörigen Portion Konkurrenz zwischen den Höfen das, was heute ein wichtiger Baustein des Thüringer Kulturerbes ist.
Franz Nagel
Vom 24. bis zum 26. Oktober 2025 wird zum Thema „Hoftheater – Theaterhöfe. Räume, Konzepte und Praxis des Theaters seit dem 18. Jahrhundert“ im Theatermuseum Meiningen getagt. Mehr zum Programm hier.