Freigelegte Baugeschichte im Westflügel von Schloss Friedenstein

Beredtes Innenleben

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Viele Fenster in die Vergangenheit sind derzeit auf Schloss Friedenstein geöffnet. Und das nicht nur wie in Schlössern üblich in Gestalt von historischen Räumen und ihren Ausstattungen.

Im Westflügel und im Westturm, einem Schwerpunkt der mehrjährigen Sanierungsarbeiten, sind in großem Umfang Teile der Baukonstruktion freigelegt worden. Das war nötig für die Planung konkreter Eingriffe in die Statik des fast 400 Jahre alten Gebäudes. Zugleich erlauben die Freilegungen aber auch Einblicke in die Baugeschichte und in die Vorgehensweisen der Baumeister vergangener Jahrhunderte.

Schloss Friedenstein in Gotha,
Foto: Bildarchiv Foto Marburg, Uwe Gaasch

Gezielt wurden Bauteile freigelegt, die Statiker zuvor als kritisch identifiziert hatten. Unter Putz und hinter Wandverkleidungen verborgene Mauern, Gewölbeansätze oder Fachwerkkonstruktionen können nur so im Hinblick auf ihre Tragfähigkeit beurteilt werden. Um Lasten zu berechnen, müssen Bodenaufbauten bekannt sein und Zwischenwände in den Geschossen genau unter die Lupe genommen werden. Außerdem gab es an vielen Stellen noch Einbauten und technische Installationen aus dem 20. Jahrhundert, die bei dieser Gelegenheit im Vorgriff auf die Sanierungsarbeiten entfernt werden konnten.

Rückbauarbeiten im Westflügel 2024, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Besonders eindrucksvoll sind die Ergebnisse im Westturm. Direkt über dem berühmten Ekhof-Theater befand sich ursprünglich ein großer Raum, der jedoch schon bald durch Fachwerkwände unterteilt wurde. Beim nachträglichen Einbau dieser Wände muteten die Baumeister der darunter liegenden Deckenkonstruktion etwas zu viel zu. Das wirkte sich nicht unmittelbar aus, führte aber im Lauf der Zeit zu Verformungen. Feuchtigkeit, Hausschwamm und Schädlinge taten ihr Übriges. Und so war der Anblick, der sich den Fachleuten nach der Freilegung bot, nicht nur interessant, sondern auch beunruhigend. Hier konnte man nicht bis zur Sanierung warten, darin waren sich die Experten einig. Binnen weniger Wochen wurde das Tragwerk des Geschosses notgesichert, die Lasten ruhen nun wieder auf den massiven Außenmauern. Damit ist auch das Ekhof-Theater unmittelbar darunter außer Gefahr, wenige Tage nach Abschluss der Sicherungen konnte hier dank des zügigen Handelns das jährliche Ekhof-Festival planmäßig stattfinden.

Mitarbeiter des Bauhof aus Nohra bei der Sicherung der Decke über dem Ekhof-Theater 2024, Foto: STSG, Sabine Jeschke

Neben der Statik geht es auch um die Abfolge von Bauphasen, Nutzungen und Ausstattungen. So finden sich an vielen Stellen unter dem Parkett des 19. und 20. Jahrhunderts noch Estrichböden aus dem 17. Jahrhundert. Auch hinter vorsichtig abgenommenen und eingelagerten Wandverkleidungen haben sich häufig noch ältere Gestaltungselemente erhalten.

Immer wieder kommt es bei den Freilegungen auch zu spannenden Entdeckungen von bisher unbekannten Details. Beim Ausbau eines jüngeren Bodenbelags im ersten Obergeschoss des Westflügels kam eine Luke zum Vorschein, die den Raum mit einem Gewölbe im Erdgeschoss verbindet. Da sich unter dem Gewölbe lange die Münzstätte des Herzogtums Sachsen-Gotha befand und der Raum darüber zur gleichen Zeit zum Bereich der Staatsverwaltung gehörte, liegt die Vermutung nahe, dass die Luke zur Kontrolle des Geschehens in der Münze dienen sollte – immerhin wurde dort mit wertvollen Materialien hantiert.

Zu den Funden unter Bodenbelägen und hinter Vertäfelungen gehören beispielsweise auch eine Flaschenpost aus dem späten 19. Jahrhundert und Gewehrpatronen aus der kurzen Zeit der amerikanischen Besatzung unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die Freilegungen stehen im Zusammenhang einer großen Aufgabe: 110 Millionen Euro stehen für die Sanierung von Schloss Friedenstein zur Verfügung, je zur Hälfte finanziert von Bund und Land – das weitaus größte Projekt unter den aktuell laufenden Sonderinvestitionsmaßnahmen der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Mit den verfügbaren Mitteln sollen in den nächsten Jahren umfassende Sanierungsarbeiten in mehreren Teilbereichen des Schlosses umgesetzt werden. Ein wichtiger Abschnitt – die Sanierung des Dachs über dem 100 Meter langen Westflügel – ist schon erledigt, 2025 soll das neue Treppenhaus mit Aufzug am Übergang zwischen Westflügel und Westturm fertig sein. Daran wird sich die Innensanierung des Westflügels anschließen. In Vorbereitung sind außerdem die Sanierung der Arkadenpfeiler im Hof und die Maßnahmen an Ostflügel und Ostturm.

Franz Nagel

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