Als in den meisten anderen Teilen Deutschlands im Zusammenhang mit den napoleonischen Kriegen kleine Territorien aufgelöst und zu größeren Staatsgebilden zusammengeführt wurden, konnten die Thüringer Fürsten erfolgreich ihre Eigenständigkeit zumindest in Form einer Teilsouveränität bewahren. Mit ihnen blieben auch die Bauten erhalten, in denen residiert und regiert wurde. Thüringen verfügt deshalb über neun Residenzen in acht Residenzstädten, die seit der Frühen Neuzeit bis 1918 fast vollständig durchgängig als Regierungssitze dienten.
Den Zeitgenossen entging die zuweilen kuriose Kleinteiligkeit nicht. Nicht selten war sie auch Gegenstand von Spott und Infragestellung. Umso wichtiger war für die Fürsten eine sichtbare Legitimation. Dazu leisteten die Residenzschlösser selbst einen wichtigen Beitrag. Sie wurden über Jahrhunderte ausgebaut, verändert und ergänzt. Oft blieb Altes dabei erhalten – manchmal aus Gründen der Sparsamkeit, oft aber wohl auch im Bewusstsein des sozialen Kapitals, den das Alter eines sichtbaren Bauteils bedeutete.
Das erkennbare Alter der Gebäude und ihres Gewachsenseins über Jahrhunderte zahlte sich aus, zeigte es doch die lange Herrschaftstradition der dort regierenden Dynastie. Dieser Wert wurde auch über das 19. Jahrhundert getragen und oft durch historisierende Bauprojekte noch verstärkt. Bis heute ist deshalb an den Residenzschlössern in Thüringen die Geschichte ablesbar. In einer solchen Dichte, engen Vernetzung und gegenseitigen Beeinflussung wie in Thüringen ist die aus dem Heiligen Römischen Reich erhaltene Residenzenlandschaft nirgendwo sonst baulich integer und in eindrucksvoller Originalität überliefert.
Das Land Thüringen hat deshalb bei der Kultusministerkonferenz beantragt, die Thüringische Residenzenlandschaft in die nächste deutsche Vorschlagsliste des UNESCO-Welterbes aufzunehmen. Den Antrag dafür hat die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten mit einem eigens eingerichteten Welterbe-Kompetenzzentrum erarbeitet. Noch 2023 wird die Entscheidung der Kultusministerkonferenz über die nächste deutsche Kandidatenliste erwartet. Wird der Vorschlag aufgegriffen, kann der Antrag für das UNSECO-Welterbekomitee erarbeitet werden, ein umfangreiches wissenschaftliches und gesellschaftliches Unterfangen.
Franz Nagel
Diese neun Residenzen in acht Residenzstädten sind Teil des Antrags:
- Residenzschloss Altenburg
- Residenzschloss Sondershausen
- Residenzschloss Heidecksburg Rudolstadt
- Residenzschloss Weimar
- Residenzschloss Elisabethenburg Meiningen
- Residenzschloss Friedenstein Gotha
- Residenzschloss Ehrenburg Coburg
- Residenz Oberes Schloss Greiz
- Unteres Schloss Greiz
Nachtrag
Das kulturelle Erbe „Thüringische Residenzenlandschaft“ ist nicht Bestandteil der neuen deutschen Vorschlagsliste für das UNESCO-Welterbe. Darüber hat am 4. Dezember 2023 die Kultusministerkonferenz der Länder entschieden. Die sogenannte Tentativliste dient in den nächsten Jahren als Grundlage für Vorschläge der Bundesrepublik an das UNESCO-Welterbe-Komitee mit Sitz in Paris. Thüringen hatte sich mit neun Residenzen in acht Residenzstädten dafür beworben, darunter auch eine bayerische Stadt. Das Land und die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) sehen dennoch weiter großes Potential in dem Vorhaben und möchten es weiter verfolgen.
Land und STSG prüfen nun gemeinsam den weiteren Weg für das Welt-erbe-Vorhaben „Thüringische Residenzenlandschaft“. Eine Weiterbe-arbeitung für die Vorlage in der nächsten Kandidatenrunde steht dabei im Vordergrund. Im zurückliegenden Erarbeitungsprozess haben sich zahlreiche Aspekte ergeben, die durch notwendige Forschungen fruchtbar gemacht werden können. Parallel wird aber auch die Bewer-bung um das Europäische Kultursiegel erwogen, dessen Grundidee übergreifende Netzwerke in den Mittelpunkt rückt. Beide Wege können sich ergänzen. Zudem soll das Potential des kulturellen Erbes für außer-schulische und schulische Bildung stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Bildung und gesellschaftliche Partizipation spielen im Zusam-menhang mit dem UNESCO-Welterbe als Aspekt nachhaltigen Umgangs mit Kulturdenkmalen inzwischen eine zentrale Rolle.